Großbritannien:Nebenwirkungen des Gifts

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Experten untersuchen jeden Zentimeter in Salisbury, wo Ex-Spion Skripal und seine Tochter vergiftet wurden. Der Zustand der beiden ist sehr kritisch. (Foto: Andrew Matthews/AP)

"Neuer kalter Krieg": Das Attentat auf Ex-Spion Skripal und seine Tochter löst heftige Kritik an Londons Russland-Politik aus.

Von Cathrin Kahlweit, London

Während Terrorismus-Experten und Polizisten etwa 240 Zeugen vernehmen und Soldaten und Forensiker jeden Zentimeter im britischen Salisbury absuchen, an dem sich der russische Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia vor dem Nervengas-Angriff aufgehalten hatten, nimmt die politische Debatte in Großbritannien an Schärfe zu. Zwar hält sich die Regierung mit Schuldzuweisungen gegen Russland zurück, wo die Auftraggeber der Tat vermutet werden. Denn bisher, betonte Finanzminister Philip Hammond am Sonntag in der BBC, sei nichts bewiesen - und die Polizei müsse in Ruhe ermitteln.

Doch gleichzeitig ist der Streit über mögliche Strafmaßnahmen gegen Moskau in vollem Gange; von einem "neuen Kalten Krieg" ist die Rede. Und auch die Vorwürfe gegen die konservative britische Regierung werden lauter, die den Angriff gegen den Doppelagenten des MI 6 am Sonntag vor einer Woche nicht habe verhindern können und sich durch die Annahme von Spendengeldern russischer Oligarchen erpressbar gemacht habe.

Skripal und Tochter waren am 4. März nach einem Besuch im Restaurant Zizzi bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury aufgefunden worden. Die Polizei hat mittlerweile Spuren des Nervengiftes, das den beiden offenbar appliziert worden war, in dem Lokal gefunden. Dessen Mitarbeiter, ebenso wie eine spontan zur Hilfe geeilte Ärztin, weisen aber keine Vergiftungserscheinungen auf. Etwa 500 Einwohner von Salisbury, die sich nach den Skripals in der Kneipe The Mill, die Vater und Tochter vorher besucht hatten, und im Zizzi aufgehalten hatten, wurden am Sonntag von den Behörden vorsorglich gebeten, ihre Kleider und ihren Schmuck zu waschen sowie ihre elektronischen Geräte abzuwischen.

Skripal und seine Tochter, die aus Moskau zu Besuch war, sind nach wie vor in einem sehr kritischen Zustand; ein Polizist, der sie anfangs betreute, ist mittlerweile wieder ansprechbar. Der 66-Jährige, der als Agent des russischen Militärgeheimdienstes auch für die Briten arbeitete und, nachdem er aufgeflogen und zu mehreren Jahren Straflager verurteilt worden war, vor acht Jahren gegen mehrere russische Spione ausgetauscht wurde, lebte zuletzt zurückgezogen in Südengland. Allerdings berichteten britische Zeitungen, dass Skripal weiter als Experte und Berater für den MI 6 gearbeitet haben könnte und auch weiter Kontakte zu russischen Bekannten aus dem Umfeld der Moskauer Botschaft in London gehabt haben soll. Belege dafür gibt es nicht.

Die russische Regierung, die jede Beteiligung an der Tat bestreitet, die von London als "grausamer und öffentlicher Mordversuch" bezeichnet wird, hatte in den letzten Tagen mit Sarkasmus auf die Vorfälle in Großbritannien reagiert. Agenten lebten offenbar nicht sicher auf englischem Boden, merkte ein Sprecher des staatlichen Fernsehens an. "Suchen Sie sich nicht England als Wohnort aus. Egal ob Sie ein professioneller Verräter Ihres Vaterlandes sind oder es einfach nur hassen: Irgendwas stimmt dort nicht. Menschen werden erhängt, vergiftet, sterben bei Hubschrauber-abstürzen oder stürzen aus Fenstern."

In London wird diese Äußerung als unverhohlene Warnung aus Russland betrachtet, dass Regime-Gegner und Spione, die (auch) für den britischen Geheimdienst arbeiten, auf britischem Boden weiterhin im Visier des FSB, des russischen Geheimdienstes, und damit in Lebensgefahr sind. Eine Recherche des Online-Magazins Buzzfeed, die breiten Widerhall in den Medien fand, weist nach, dass 14 russische Staatsbürger in den vergangenen Jahren auf dubiose Weise im Königreich umgekommen sind.

"Großbritannien hat seine Lektion nicht gelernt", sagt die Witwe des Putin-Gegners Litwinenko

Marina Litwinenko, die Witwe des 2006 in London mit Polonium ermordeten Putin-Gegners Alexander Litwinenko, warf der britischen Regierung am Sonntagmorgen in der BBC vor, diese habe nach dem Tod ihres Mannes zu schwach reagiert und ihre "Lektion nicht gelernt". Die heutige Premierminister Theresa May habe ihr, als sie noch Innenministerin war, in einem Schreiben versichert, die Regierung werde "alles dafür tun", dass sich so etwas nicht wiederhole. Das sei nicht geschehen. Moskau habe die Ermittlungen gegen die Mörder ihres Mannes damals nicht unterstützt und, nachdem alle Beweise auf einen FSB-Auftragsmörder hinwiesen, diesen nicht bestraft und nicht ausgeliefert.

Litwinenko warf May und den Tories auch vor, sie hätten sich die Parteikassen mit gewaschenem Geld von russischen Oligarchen gefüllt. Die BBC hatte ausgerechet, dass die Tories etwa eine Million Euro von Unternehmen mit Verbindungen zu Russland angenommen hätten - entgegen Mays Versprechen nach ihrem Amtsantritt, dass jede Parteispende, die mit Moskau in Verbindung gebracht werden könnte, eingehend geprüft werde.

Labour forderte May auf, das Geld zurückzugeben. Kurz nach dem Attentat auf Skripal und seine Tochter hatten sowohl Innenministerin Amber Rudd als auch Außenminister Boris Johnson "angemessene" und "robuste" Reaktionen angekündigt. Derzeit wird in London eine ganze Bandbreite möglicher Sanktionen geprüft, die eingesetzt werden könnten, wenn - was allgemein als wahrscheinlich gilt - Moskau als Auftraggeber der Tat identifiziert wird. Diese beinhalten die Ausweisung russischer Diplomaten, die Ablehnung von Visa für russische Oligarchen sowie das Einfrieren von deren Vermögen. May setzt außerdem auf eine koordinierte Reaktion der Nato und ein gemeinsames Vorgehen mit EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich.

Kritiker im eigenen Land werfen ihr allerdings vor, dass die Antwort der Briten "schwach" und der MI 6 nachhaltig geschädigt sei. Ein Geheimdienst, der davon lebe, Agenten anzuwerben, diese dann aber nicht schützen könne, werde in Zukunft große Probleme habe, Personal zu rekrutieren. Die Risikoabwägung habe im Falle Skripal offenbar nicht funktioniert, sagte ein Experte der BBC. Zudem habe der Dienst sich zu viel mit Terrorabwehr - und zu wenig mit Spionageabwehr und dem Vorgehen des FSB in Großbritannien befasst.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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