Großbritannien:Langsam weg von London

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Im Windschatten der Corona-Pandemie entfernen sich Schottland und Nordirland immer weiter von England. Die Regierung von Boris Johnson macht ihnen das leicht.

Von Cathrin Kahlweit

Die Parlamentswahlen in der Republik Irland sind knapp fünf Wochen her, noch immer gibt es keine Regierung. Drei Parteien schnitten etwa gleich stark ab, aber eigentlich will keine mit den anderen koalieren. Eine Einigung kann also dauern. Ein Thema schwingt aber in allen Verhandlungen mit: die irische Wiedervereinigung. Sinn Féin, Überraschungssiegerin der Wahl, war mit einem Versprechen ins Rennen gegangen: "Unser Hauptziel ist, die irische Einheit umzusetzen und dafür ein Referendum zu initiieren." Der Preis einer Regierungsbeteiligung oder auch nur der Duldung einer Minderheitsregierung durch die gesamtirische, republikanische Partei wäre die Vorbereitung dieser Volksabstimmung.

Und die Zeichen mehren sich, dass diese positiv ausgehen könnte. Demografische Daten belegen, dass in Nordirland mittlerweile etwas mehr Katholiken leben als Protestanten. Der Brexit, der eine Zollgrenze durch die irische See ziehen wird, wird die ökonomische Bindung zwischen beiden Inselteilen verstärken. Und die Tatsache, dass die Europäische Union zugesagt hat, Nordirland könne als Teil der Republik Irland quasi automatisch wieder EU-Mitglied werden, hat das Momentum für eine Wiedervereinigung verstärkt.

Seit wenigen Wochen gibt es immerhin in Nordirland wieder eine Regierung. First Minister Arlene Foster war - zumal in jener Zeit, in der ihre Partei, die DUP, die Brexit-Regierung von Theresa May unterstützte - die Lieblingsfeindin der Republikaner im Norden und Süden der Insel. Aber unter Boris Johnson hat sich auch die DUP von London entfremdet; der Deal mit Brüssel wurde über ihren Kopf hinweg beschlossen und hat die Wut in Nordirland auf die englischen Brexiteers nur verstärkt. Foster arbeitet heute eng mit Dublin zusammen. Das ist, unter anderem, der gemeinsamen Bekämpfung des Coronavirus geschuldet - aber nicht nur. Der North/South-Ministerial Council, in dem grenzüberschreitende Probleme verhandelt werden, scheint zu einer gemeinschaftlichen Ersatzregierung von Dublin und Belfast zu werden.

Parallel driftet auch Schottland weg von London. Das erste Unabhängigkeitsreferendum scheiterte 2014, ein zweites, das First Minister Nicola Sturgeon noch 2020 erzwingen will, möchte die Regierung Johnson unbedingt verhindern. Anders als im Fall der Volksabstimmung in Nordirland, die London höchstens verschleppen könnte, kann eine Abstimmung in Schottland per Londoner Veto gestoppt werden. Sturgeon droht jetzt mit einem "konsultativen Referendum", das zwar keine rechtliche Grundlage hätte, aber ein hervorragendes Druckmittel wäre. Auch in Schottland steigt nämlich seit dem Brexit die Zahl der Befürworter eines schottischen Alleingangs. Vergangene Woche zeigte Sturgeon schon mal, dass sie nicht vorhat, sich von der Tory-Regierung in der Hauptstadt die Show stehlen zu lassen. Noch bevor Johnson mit Beschlüssen zum Umgang mit der Corona-Krise an die Öffentlichkeit gehen konnte, inszenierte sie sich in Edinburgh als starke Frau und verkündete eigene, harte Maßnahmen.

Im Windschatten der Pandemie, der Brexit-Verhandlungen und einer zunehmend autistisch regierenden Johnson-Administration entfernen sich Schottland und Nordirland, traditionell eng verbunden, Hand in Hand von England. Eine Unabhängigkeitsbewegung verstärkt dabei die andere. Neulich fragte der Economist: "Can it really happen?" Yes, it can.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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