Großbritannien:Kalt erwischt

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Im Königreich fürchten viele, im Winter nicht heizen zu können.

Von Alexander Mühlauer, London

Kwasi Kwarteng versucht seit schon Tagen, seine Landsleute zu beruhigen. Niemand müsse sich Sorgen machen, dass im Winter die Lichter ausgingen, sagt der britische Wirtschaftsminister. Es sei schlichtweg alarmistisch zu behaupten, dass die Menschen bald Probleme haben würden, ihre Häuser und Wohnungen zu heizen.

Doch alle Beschwichtigungen ändern nichts daran, dass Großbritannien ein gewaltiges Problem hat. Seit Jahresbeginn ist der Gaspreis im Großhandel um 250 Prozent gestiegen, allein im August um 70 Prozent. Einige Versorger sind bereits pleitegegangen, ein Ende ist nicht in Sicht. Kein Wunder also, dass viele im Königreich Angst davor haben, dass die Energieversorgung knapp wird. Vor allem Ärmere fürchten, ihre Rechnung nicht mehr bezahlen zu können.

Die Gründe für die Gas-Krise sind vielfältig. Premier Boris Johnson und sein Wirtschaftsminister wollen allerdings den Eindruck vermeiden, auch der Brexit könne daran schuld sein. Wie schon bei den Versorgungsproblemen von Supermärkten und Restaurants macht die Regierung vor allem Corona verantwortlich. Johnson drückt es so aus: "Die Weltwirtschaft taut jetzt sehr schnell auf, es gibt Probleme bei den Versorgungsketten und eine sehr starke Nachfrage nach Gas in der ganzen Welt."

Tatsächlich steigen weltweit die Gaspreise, auch in Deutschland. Doch im europäischen Vergleich gab es zuletzt nirgendwo einen so starken Anstieg wie in Großbritannien. Und das liegt nicht nur an globalen Veränderungen wie etwa dem stark wachsenden Energiebedarf in Asien.

Da ist etwa das Gas aus der Nordsee, das in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger wurde, genauso wie die Speicherkapazität im Land. Und da sind vor allem zwei Probleme, die so nicht absehbar waren: Zum einen mussten ältere Atomkraftwerke wegen plötzlich nötiger Wartungsarbeiten abgeschaltet werden; und zum anderen gab es in den vergangenen Monaten ungewöhnlich wenig Wind, sodass vor allem die Offshore-Parks bei Weitem nicht so viel Energie produzieren konnten wie geplant.

Die Preissteigerung beim Erdgas führt jedenfalls zu Problemen, die noch ziemlichen Unmut auslösen könnten. So musste etwa der größte Düngemittelhersteller des Landes Fabriken schließen. Damit gibt es nun weniger Kohlenstoffdioxid, das bei der Produktion entsteht. Dieses CO₂ fehlt wiederum den Herstellern von Fleisch- und Geflügelprodukten, die damit ihre Verpackungen vakuumsicher versiegeln. Die Unternehmen warnen deshalb schon, dass wegen der Gas-Krise auch die Versorgung mit Truthähnen zu Weihnachten in Gefahr sei.

Bleibt die Frage, was der Brexit mit alldem zu tun hat. Seit dem EU-Austritt ist Großbritannien nicht mehr Teil des Energie-Binnenmarktes. Der grenzüberschreitende Handel funktioniert zwar auch innerhalb der EU nicht perfekt, aber er kann dabei helfen, krasse Preissteigerungen abzufedern. Wie groß der Brexit-Faktor in der britischen Gas-Krise ist, lässt sich schwer abschätzen. Fest steht allerdings, dass ein Versprechen von Johnson nicht eingetreten ist: dass der Gaspreis nach dem Brexit günstiger wird.

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