Großbritannien:In eigener Sache

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Theresa May muss jetzt vor allem konservative Rebellen überzeugen. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Premierministerin Theresa May wirbt im Parlament für den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Vertrag. Sie muss jetzt vor allem konservative Rebellen überzeugen.

Von Björn Finke, London

"Get on with it!", übersetzt etwa: "Macht endlich voran!", ruft es von der Titelseite des Daily Express, jener britischen Tageszeitung, die so aggressiv wie keine andere gegen die EU stänkert und für den Brexit wirbt. Das Blatt fordert die Parlamentarier in London dazu auf, für den Austrittsvertrag zu stimmen und den Brexit nicht zu gefährden. Die ebenfalls verlässlich anti-europäische Daily Mail argumentiert in ihrer Montagsausgabe ähnlich. Damit hat Theresa May immerhin schon die wichtigsten Brexit-Propagandisten unter den Zeitungen des Landes hinter sicht. Schwerer wird es der Premierministerin fallen, genug Abgeordnete ihrer Konservativen vom Vertrag zu überzeugen.

May warb am Montagnachmittag im Parlament für das Austrittsabkommen, das die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Gipfel am Vortag abgesegnet hatten. Der Vertrag regelt die Bedingungen der Trennung. Damit er in Kraft tritt, muss das Parlament zustimmen. Doch mehr als 90 der 314 Abgeordneten von Mays Tories kündigen an, wohl dagegen zu votieren. May appellierte an diese Rebellen, auf die Sorgen der Bürger in ihren Wahlkreisen zu hören und "unser nationales Interesse" im Auge zu behalten. Bei einer Ablehnung drohe noch mehr "Spaltung und Unsicherheit".

Mit Sicherheit werde es "keinen besseren Deal" geben.

Als Termin für die Parlamentsabstimmung kündigte May den 11. Dezember an. Sie wird in den zwei Wochen zuvor durchs Land reisen, um Wähler und Parteibasis vom Abkommen zu überzeugen. Argumentationshilfe liefert das Finanzministerium: Das wird in den nächsten Tagen Berechnungen über den wirtschaftlichen Schaden vorlegen, den ein Austritt ohne Vertrag anrichten würde. Denn in dem Fall würden nach dem Brexit am 29. März Zölle und Zollkontrollen eingeführt. Die Notenbank informiert am Mittwoch über die Folgen so eines ungeregelten Brexits für die Banken. Zudem fordern Unternehmerverbände, den Vertrag zu akzeptieren.

Im Parlament haben Mays Konservative eine knappe Mehrheit von 13 Sitzen, und das nur, weil sie von der nordirischen Partei DUP unterstützt werden. Will die Regierungschefin die Abstimmung gewinnen, muss der Großteil der mehr als 90 Rebellen klein beigeben. Oder die Opposition müsste May helfen.

Ihre Überzeugungsarbeit richtet sich an vier Gruppen. Die größte sind jene Konservative, die den Vertrag ablehnen, weil er ihnen eine zu enge Bindung an die EU vorsieht. Diese Rebellen - gut 80 Brexit-Enthusiasten - hoffen auf Nachbesserungen, was Brüssel jedoch ausschließt, und sie sind bereit, zur Not einen Austritt ohne Abkommen zu riskieren. May versucht, ihnen klarzumachen, dass die Wähler endlich Fortschritte im ewigen Drama sehen wollen. Zudem könnte eine Ablehnung den Lebenstraum dieser Brexit-begeisterten Abgeordneten gefährden. Denn im Parlament gibt es eine große, parteiübergreifende Mehrheit gegen einen Austritt ohne Vertrag. May könnte gezwungen sein, nach einer Niederlage Brüssel zu bitten, den Brexit um einige Monate zu verschieben. Neuwahlen könnten nötig sein, um die politische Blockade aufzulösen.

Die zweite Rebellen-Gruppe bei den Konservativen sind weniger als zehn Abgeordnete, die den Brexit verhindern wollen. May argumentiert ihnen gegenüber, dass ein Brexit mit Vertrag und enger Anbindung an die EU besser ist als der ungeregelte Austritt, der bei Ablehnung droht. Die dritte Gruppe, der Mays Aufmerksamkeit gilt, sind die zehn Parlamentarier der nordirischen Unionistenpartei DUP. Die protestantischen Unionisten lehnen alles ab, was Nordirland vom Rest des Königreichs trennen könnte. Ihnen missfällt die im Vertrag vorgesehene Auffanglösung, die verhindern soll, dass je Lkw an der inneririschen Grenze kontrolliert werden müssen. May hofft, dass sich die DUP enthält, statt gegen das Abkommen zu stimmen, aber die Parteiführung zeigt sich kompromisslos.

Die vierte Gruppe sind die 257 Abgeordneten der Oppositionspartei Labour. Der in der Fraktion unbeliebte Parteichef Jeremy Corbyn gibt als Linie vor, gegen den Vertrag zu stimmen und Neuwahlen herbeizuführen. Er nannte den Deal am Montag "Murks". Doch wird erwartet, dass einige Sozialdemokraten May unterstützen: vor allem Politiker aus Wahlkreisen, die im Referendum für den Brexit gestimmt haben. Diese Parlamentarier wollen nicht als Austritts-Saboteure gelten.

May wird in den kommenden zwei Wochen viel werben und viel drohen müssen. Und viel rechnen.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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