Großbritannien:Fürchtet Euch nicht

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Der EU-Rat brachte keinen echten Fortschritt, ein Mini-Gipfel mit ihrem Kabinett kommende Woche soll es richten: Theresa May in Brüssel. (Foto: Jack Taylor/Getty Images)

Noch immer hat Premier May keinen Brexit-Plan. Ihre Gegner kümmert das nicht. Und die EU macht Druck.

Von Cathrin Kahlweit, London

England ist bei der Fußballweltmeisterschaft eine Runde weiter, die Deutschen sind raus, und das böse Gerücht, dass die britischen Bierproduzenten angesichts eines Mangels an Kohlendioxid Probleme mit dem Nachschub haben könnten, haben sich als übertrieben erwiesen.

Dies alles, und die Dauerhitze, sind die Schlagzeilen auf der Insel. Dass dieser Tage in Brüssel ein EU-Gipfel stattfindet, der vor einigen Monaten noch als entscheidend für den Fortgang der Brexit-Verhandlungen bewertet worden war, interessiert im Königreich wenig. Was aber auch daran liegen mag, dass die britische Premierministerin mit leeren Händen nach Belgien geflogen war. Neue, konkrete Angebote zu den strittigen Fragen - etwa die Grenze zwischen Nordirland und Irland, die Zukunft der Handelsbeziehungen - liegen aus London nicht vor, können auch nicht vorliegen, weil das Kabinett erst für kommende Woche zu einem eigenen, kleinen Brexit-Gipfel verabredet ist.

In Chequers, dem Landsitz der Premierministerin, soll sich am kommenden Freitag entscheiden, ob die Leaver oder die Remainer, also die Fans eines harten oder eines weichen Brexit, die Oberhand behalten. Wobei die britischen Medien auch da skeptisch sind. Es sei denkbar, dass Chequers verschoben werde, heißt es, eben weil keine Einigkeit zwischen den Lagern herstellbar sei. Der Evening Standard titelte daher am Freitag: "Hört auf zu streiten, oder das Spiel ist aus."

Sollte sich etwas bewegen, will die Regierung Mitte Juli ein so genanntes White Paper mit einem Vorschlag für die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU vorlegen. Auch das ist jedoch nicht sicher; Brexit-Minister David Davis hatte das White Paper schon vor Wochen vorlegen wollen, im Regierungsviertel heißt es aber, unter anderem die Vorschläge zur Einwanderung und zu den Rechten von EU-Bürgern könnten auf September verschoben werden.

Und so war es zwar eine nette Überraschung, dass May vom belgischen Premier bei ihrer Ankunft (vor dem Spiel England-Belgien) ein Trikot geschenkt bekam. Keine Überraschung hingegen war es, dass EU-Chef-Verhandler Michel Barnier am Freitag besorgt auf die immer noch tiefen Gräben zwischen dem Königreich und der EU hinwies. Man habe in einigen Punkten Fortschritte gemacht, sagte der Franzose, "aber große und ernste Probleme bleiben bestehen, unter anderem in der Frage der Grenze auf der irischen Insel".

Die EU hat eine Notfall-Lösung vorgesehen: Falls es nicht zu einer Einigung kommt, die Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland obsolet machte, würde der Norden der Insel in der Zollunion bleiben. London will das verhindern, hat aber noch keinen Alternativvorschlag vorgelegt.

Barnier verwies in Brüssel am Freitag auch noch einmal darauf, dass sich die 27 EU-Staaten in der Frage ihrer Prinzipien nicht auseinanderdividieren ließen - der Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten und die Sicherung der Rechte von EU-Bürgern seien nicht verhandelbar. Dies ist eine eindeutige Zurückweisung der Gerüchte, die seit Wochen in London kursieren und die besagen, May wolle einen Teil-Verbleib im Binnenmarkt heraushandeln: Güter sollten weiter nach EU-Regeln behandelt werden; das solle aber nicht für Dienstleistungen und Migration gelten. In Whitehall gilt das als Kompromisslösung, die einen möglichst weichen Brexit garantieren könnte, während eine der Kern-Forderungen der Brexiteers, Kontrolle über Einwanderung und Grenzen, bedient würde. Barnier machte nun aber klar, dass sich die EU offenbar darauf nicht einlassen wird. Dem schloss sich der irische Premier Leo Varadkar an. London weigere sich offenbar, sagte er einer BBC-Korrespondentin, die grundlegenden Regeln zu verstehen: Ein Ausscheiden aus der EU bedeute eben den Verzicht auf einige Vorteile.

Die Irritation darüber, dass wenige Monate vor dem für Oktober avisierten Ende der Verhandlungen sich so wenig Klarheit über die britische Position herstellen lässt, schimmert, wenngleich höflicher formuliert, auch durch die gemeinsame Erklärung der 27 durch, die am Freitag verabschiedet wurde. Darin wird noch einmal auf den massiven Zeitdruck hingewiesen, auf das Fehlen eines britischen Vorschlags zu Nordirland und auf die wachsende Gefahr, dass die Verhandlungen ganz scheitern könnten. Die Mitgliedstaaten werden daher aufgefordert, sich auf das Szenario eines "No Deal" vorzubereiten.

In London gibt es allerdings weiterhin Politiker, die trotz allem für eine harte Haltung plädieren - auch wenn die Wirtschaft zunehmend vor den Folgen eines ungeordneten Brexit warnt. Außenminister Boris Johnson hatte auf entsprechende Signale von Unternehmern geantwortet: "Fuck Business." Der Brexit-Fan und Abgeordete Jacob Rees-Mogg twitterte gut gelaunt: "Die Wirtschaft muss sich vor dem Brexit nicht fürchten - das behauptet nur die Lobby interessierter Brexit-Gegner."

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© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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