Großbritannien:Bereit zur Wende

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Nick Clegg, Chef der britischen Libdems, macht der oppositionellen Labour-Partei offen Avancen. Diese hat bei der nächsten Wahl die besseren Chancen - und Clegg tut sich leicht damit, Ideale über Bord zu werfen.

Christian Zaschke

Ob Paddy Ashdown das ernst meinte? Oder hatte er einen fiesen Witz gerissen, als er sagte: Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten, sei aktuell der begabteste und fähigste Politiker Großbritanniens? Ashdown war lange Vorsitzender der Liberaldemokraten (Libdems), er hat sie in den neunziger Jahren aus der Bedeutungslosigkeit geführt und zur dritten Kraft in der britischen Politik gemacht, bevor er sich 1999 von der Parteispitze zurückzog. Seither ist er die graue Eminenz der Partei.

Clegg hat auf Ashdowns Vorarbeit aufbauen können, als er 2007 den Parteivorsitz übernahm. 2010 führte er die Libdems, die am ehesten mit den deutschen Grünen zu vergleichen sind, als Juniorpartner in eine Regierungskoalition mit den Konservativen. Clegg wurde Vize-Premierminister und erwarb sich bald einen Ruf als Mann, dessen Flexibilität ihn nahezu wirbellos erscheinen ließ.

Zu Beginn dieser Woche überraschte Clegg, als er der oppositionellen Labour-Partei offen Avancen machte. In einem Interview mit der BBC erläuterte er, dass Labour sich nach der Wahlniederlage 2010 zum Guten verändert habe, während die Koalitionspartner von den Tories immer ideologischer würden. Das Interview wurde am Montagabend ausgestrahlt, es war Teil eines Großportraits von Clegg, des "Liberalen, der an die Macht kam".

In der Sendung kamen auch verschiedene Weggefährte Cleggs zu Wort, die meisten sagten sinngemäß, dass Clegg den Griff nach der Macht mit dem Verlust vieler Ideale bezahlt habe. Paddy Ashdown aber wartete mit dem zweifelhaften Lob auf. Wenn Clegg seiner Meinung nach nun wirklich der begabteste Politiker wäre - was hielte der kluge und besonnene Ashdown dann bloß von all den anderen?

Nick Clegg ist der Mann, der 2010 im Wahlkampf versprochen hatte, dass eine Erhöhung der Studiengebühren mit ihm nicht zu machen sei. Außerdem setze er sich für mehr Ehrlichkeit in der Politik ein. Eine seiner ersten Amtshandlungen nach der Wahl war es, einer massiven Erhöhung der Gebühren zuzustimmen, die sich an den meisten Universitäten verdreifacht haben. Studenten, die in großer Zahl für die Libdems gestimmt hatten, verbrannten Clegg-Bilder im Regierungsviertel, hin und wieder fand der Vize-Premier Hundekot in seinem Briefkasten. Er war in kürzester Zeit vom Hoffnungsträger zu einem Mann geworden, dem tiefe Verachtung entgegenschlug.

Zwei seiner politischen Hauptanliegen waren in der Folge die Abschaffung des Mehrheitswahlrechts und die Reform des Oberhauses. Beide scheiterten krachend. In Herbst 2012 entschuldigte sich Clegg dafür, sein Versprechen bezüglich der Studiengebühren gebrochen zu haben. Er nahm eine Video-Botschaft auf, in der er eine auswendig gelernte Erklärung hölzern vortrug. Eine Satireseite im Internet unterlegte Cleggs Entschuldigung mit munterer Musik, was die Absurdität des Auftritts noch betonte. Der kleine Film wurde umgehend zum Hit und zementierte Cleggs Status als zumindest unglückliche Figur.

Dass er nun der Labour-Partei Avancen macht, hat einen einfachen Grund: Umfragen zufolge ist Labour derzeit die deutlich stärkste Partei, die Konservativen haben einen Rückstand von bis zu zehn Prozentpunkten. Clegg spekuliert darauf, dass es für Labour dennoch nicht zur absoluten Mehrheit reicht und die Libdems erneut den Königsmacher spielen können.

Seine Strategie ist offensichtlich: Er löst die Libdems allmählich von den Konservativen, was ihm im Wahlkampf die Freiheit verschaffen soll, die Regierung zu attackieren, der er selber angehört. Zugleich bereitet er die Möglichkeit des Überlaufens zur voraussichtlich stärksten Partei vor, ohne es sich mit den Konservativen vollends zu verscherzen.

Zwar hatten sich führende Labour-Politiker zuletzt überraschend freundlich über Clegg geäußert, der ihnen als Erfüllungsgehilfe der Tories gilt, dennoch wies der Parteivorsitzende Ed Miliband den Vorstoß am Montag zurück. Sein Ziel sei es, die absolute Mehrheit zu erreichen, sagte er. Zudem, riet er, solle sich Clegg lieber um seine eigene Partei kümmern als um mögliche Koalitionen. Der Vorschlag hat insofern etwas für sich, als die Libdems in Umfragen von mehr als 20 auf gut unter zehn Prozentpunkte gefallen sind und ihnen der Sturz zurück in die Bedeutungslosigkeit droht.

© SZ vom 18.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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