Griechenland:Verdrängen hilft nicht

Mit der Eskalation auf Lesbos ist auch für Europa ein Kipp-Punkt erreicht.

Von Tobias Zick

Von "Kipp-Punkten" sprechen Klimaforscher, wenn sie gefährliche Entwicklungen beschreiben, die sich eine Weile verdrängen lassen, plötzlich aber ein ganzes System aus dem Gleichgewicht bringen können - und sich in ihrem Fortschreiten nicht mehr bremsen lassen. Im politischen Klima Griechenlands ist ein solcher Kipp-Punkt jetzt erreicht.

Auf Lesbos ist die Lage vergangene Woche eskaliert. Die Polizei setzte Tränengas gegen Migranten ein, die aus einem heillos überfüllten Lager auf die Straßen gezogen waren, um gegen ihre menschenunwürdige Unterbringung zu protestieren. Später demonstrierten Einheimische gegen die Tatsache, dass ihre Insel als Freiluftgefängnis am Rand Europas benutzt wird. Berichten zufolge wurden die Proteste unterwandert von Rechtsextremen.

Die humanitäre Krise wird für die konservative Regierung zur innenpolitischen Krise. Ihre Ankündigung, für den Bau neuer, geschlossener Lager notfalls Land gegen Entschädigung zu enteignen, dürfte die Lage kaum entschärfen. Mit der Eskalation auf Lesbos ist aber auch für Europa ein Kipp-Punkt erreicht: Es zeigt sich mal wieder, dass die Strategie, die Not von Flüchtlingen aus benachbarten Weltregionen an den Rand der EU und damit an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, immer nur für begrenzte Zeit funktioniert.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: