Griechenland-Krise:"Keine Einigung um jeden Preis"

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Kanzlerin Merkel und eine Mehrheit der Euro-Länder fordern von Athen umfassende Reformen.

Von A. Mühlauer, D. Brössler und T. Kirchner, Brüssel

Kurz vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands haben die Mitglieder der Währungsunion am Sonntag versucht, zu einer Einigung mit Athen zu gelangen. Auf einem Sondergipfel in Brüssel drängten sie die Regierung von Alexis Tsipras, bis spätestens Mittwoch konkrete und weitreichende Reformen im Parlament zu beschließen. Erst danach könnten Verhandlungen über ein neues Hilfspaket beginnen. So soll Athen einen Vertrauensbeweis gegenüber den Kreditgebern erbringen. Griechenlands Finanzbedarf in den nächsten drei Jahren wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro geschätzt. Die Zeit drängt. Das Land muss im laufenden Monat 4,2 Milliarden Euro an die Gläubiger zurückzahlen.

In Brüssel rechnete ein hochrangiger EU-Beamter am Abend mit einem sehr langen Treffen. Nach einer ersten Gesprächsrunde wurde der Gipfel für bilaterale Beratungen unterbrochen. Weitere Unterbrechungen würden folgen, sagte der EU-Beamte: "Jeder arbeitet daran, einen Grexit zu vermeiden." Regierungschefs und Finanzminister redeten anschließend in immer neuen Zusammensetzungen die Nacht über miteinander.

Grundlage für die Gespräche der Staats- und Regierungschefs war ein vierseitiger Forderungskatalog der Euro-Finanzminister, die am Samstag und Sonntag getagt hatten. Danach muss die griechische Regierung bis Mittwoch das Mehrwertsteuer-System ändern, so dass die Staatseinnahmen baldmöglichst steigen. Auch die Renten-, Justiz- und Finanzmarktreformen sollen beschlossen werden. Die Unabhängigkeit der Statistikbehörde Elstat soll gestärkt werden, die Rekapitalisierung der Banken noch in dieser Woche beginnen.

Außerdem soll Griechenland seine Wirtschaft noch stärker liberalisieren. Das gilt unter anderem für Bäckereien, Ladenöffnungszeiten am Sonntag und Verkäufe von Arzneimitteln. Der Arbeitsmarkt soll stärker gelockert werden. Umstritten sind Gesetze über Tarifverhandlungen und das Recht von Firmen auf Massenentlassungen. Eine Rückkehr zu alten Regeln, die dem Ziel eines nachhaltigen Wachstums entgegen stehen, soll es nicht geben.

Einen Schuldenschnitt schließen die Euro-Partner aus. Gleichwohl stellen sie in Aussicht, den Zahlungsaufschub zu verlängern. Auch sollen die Griechen die Kredite später zurückzahlen können. In dem Euro-Gruppen-Papier werden auch zwei umstrittene Vorschläge der Bundesregierung erwähnt: erstens einen Treuhandfonds mit Vermögenswerten des griechischen Staates in Höhe von 50 Milliarden Euro zu schaffen; und zweitens, Griechenland eine "Auszeit von der Euro-Zone" zu ermöglichen, also einen vorübergehenden Grexit zuzulassen, um eine Umstrukturierung der griechischen Schuldenlast zu ermöglichen. Beide Ideen entstammen einem Papier des Bundesfinanzministeriums, das seit Samstag viel Aufregung erzeugt hatte. Amtschef Wolfgang Schäuble hatte immer argumentiert, dass ein Schuldenschnitt nur außerhalb der Euro-Zone möglich sei.

Die wichtigste Währung sei verloren gegangen, sagte Angela Merkel - das Vertrauen. Die Kanzlerin mit Alexis Tsipras und François Hollande. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Ministerpräsident Tsipras stellte in der Sitzung der Staats- und Regierungschefs seinerseits vier Kernforderungen. Der deutsche Grexit-auf-Zeit-Vorschlag müsse vom Tisch. Außerdem dürften von der Regierung Tsipras beschlossene Gesetze, die nicht mit den Geldgebern abgestimmt waren, nicht rückgängig gemacht werden, verlangte er. Ferner sollen die griechischen Banken Nothilfen der Europäischen Zentralbank sofort in Anspruch nehmen dürfen, damit sie wieder öffnen könnten. Tsipras drängte zudem auf eine klarere Formulierung zur Schuldenerleichterung. Die neuen Forderungen provozierten bereits Widerstand in der Athener Koalition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte vor dem Brüsseler Gipfel, wie wichtig Vertrauen sei. "Die wichtigste Währung" sei verloren gegangen, sagte sie, "und das ist das Vertrauen". Die Lage sei "extrem schwierig", aber es dürfe "keine Einigung um jeden Preis" geben.

Unter den Euro-Partnern zeichneten sich sehr kontroverse Positionen ab. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi drängte Deutschland einem Zeitungsbericht zufolge zu einer Einigung mit Griechenland in der Schuldenkrise. Il Messagero zitiert Renzi mit den Worten: "Italien will keinen Austritt Griechenlands aus dem Euro, und zu Deutschland sage ich: genug ist genug."

Auch Frankreichs Präsident François Hollande setzte sich für einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone ein. "Frankreich wird alles dafür tun, um zu einer Einigung zu gelangen, die Griechenland den Verbleib in der Euro-Zone ermöglicht", sagte er. "Es gibt keinen provisorischen Grexit." Auch Bundespräsident Joachim Gauck sprach sich im ZDF gegen ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion aus: "Ich weigere mich, mir das so vorzustellen."

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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