Griechenland:Im Schatten

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Improvisieren nach dem großen Feuer: Asylsuchende schlafen am Freitag an einer Tankstelle auf Lesbos. (Foto: LOUISA GOULIAMAKI/AFP)

Nahe Moria sind etliche obdachlose Migranten an Polizeisperren gestrandet, manche hoffen jetzt auf Angela Merkel.

Von Tobias Zick, Roland Preuss

Für Abdulkalim Khani ist es die nächste Etappe auf seiner jahrelangen Odyssee. Der Mann aus Kabul, Afghanistan, hat sich mit seiner Frau und den acht Kindern in den spärlichen Schatten eines Bäumchens am Straßenrand gedrängt, sie haben zwei Rollkoffer und eine zusammengerollte Decke bei sich und ein paar zu Bündeln verschnürte Plastiksäcke. Wo die Reise hinführt, ist noch ungewisser als zuvor; vor zwei Tagen haben sie ihr Nötigstes zusammengerafft und sind vor den Flammen davongelaufen, die sich ihrem Zelt am Rand von Moria, bis dato Europas größtem Flüchtlingslager, entgegenfraßen.

An ihnen vorbei drängen sich andere Familien, Gruppen junger Männer, als gäbe es einen Wettlauf zu gewinnen, dabei wird der Weg für sie alle ein paar Hundert Meter weiter enden. Die Polizei hat die Straße, die zur Inselhauptstadt Mytilini führt, mit quer gestellten Bussen verrammelt, in deren Schatten haben sich am Boden Dutzende Gestrandete zusammengedrängt. In den letzten Tagen hatte die Polizei noch Tränengas verschossen, um die Leute am Vordringen in die Stadt zu hindern, jetzt hat sich offenbar so etwas wie ein instabiles Gleichgewicht eingestellt.

"Designed for freedom", für die Freiheit gemacht, steht auf dem T-Shirt, das Abdulkalim Khani trägt, neben dem Schriftzug ist ein Berggipfel skizziert. Was er jetzt hier erlebt, ist in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil alpiner Freiheitsabenteuer. "Wir wissen gar nichts", sagt er, "wir wissen nicht, was wir essen sollen, wo wir schlafen sollen, wann wir hier wegkommen." Einige andere Familien haben angefangen, sich aus Tüchern und den Stängeln abgeschlagener Maispflanzen Sonnenschutzdächer zu basteln. "Germany?", ruft einer. Es hat sich herumgesprochen, dass Angela Merkel angeblich bereit sei, einige der Leute hier aufzunehmen. Wann das denn so weit sei, fragen manche. Und welche Papiere man dafür brauche.

Abdulkalim Khani schlägt eine Mappe auf, ein Empfehlungsschreiben einer Hilfsorganisation; die Unterzeichnende preist seine Fertigkeiten als Schweißer und Elektroinstallateur, die er als freiwilliger Helfer im Lager eingebracht habe; er habe eine "positive Grundeinstellung", heißt es. Seine Frau blättert eine eigene Mappe auf, ein Pass weist sie als ehemalige Mitarbeiterin der Polizei aus, dazu Registrierungsformulare. Was in der Mappe bislang fehlt: ein Schreiben, das ihren Status als Asylberechtigte bescheinigt.

Nach Erhebungen des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind es etwa 11 500 Menschen, die durch die Brände in Moria jetzt obdachlos sind; fast alle der bisherigen Insassen also, bis auf einige Hundert Minderjährige und als besonders verwundbar geltende Frauen, die von den Behörden an sicherere Orte gebracht wurden. Die übrigen, das hat die griechische Regierung bereits am Donnerstag klargestellt, brauchen sich keine Hoffnung zu machen, dank der offenbar mutwillig gelegten Brände nun die Insel verlassen zu können.

Woher stammen diese Menschen? Und wie viele von ihnen sind tatsächlich asylberechtigt? Das ist wichtig für die Frage, ob andere europäische Länder sie aufnehmen sollen, denn nach dem gängigen Prozedere wollen die Behörden vermeiden, Menschen über Europa zu verteilen, die kein Asylrecht haben und ohnehin wieder ausreisen müssen. Laut UNHCR stammen drei Viertel (76 Prozent) der bisherigen Bewohner des Lagers aus Afghanistan, je sieben Prozent aus Syrien und der Demokratischen Republik Kongo, drei Prozent aus Somalia, nur jeder fünfzigste (zwei Prozent) aus dem Irak. Wie viele von ihnen asylberechtigt sind, lässt sich noch nicht sagen, aber es gibt Anhaltspunkte: Laut EU-Kommission läuft bei 11 000 Bewohnern das Asylverfahren noch, 1400 sind als schutzbedürftig anerkannt, bei 900 wurde das Begehren in zweiter Instanz abgelehnt, sie müssten also die EU verlassen.

In Deutschland hatten Asylbewerber aus Afghanistan vergangenes Jahr zu gut einem Drittel einen Schutzstatus erhalten, bei etwa 40 Prozent stellten die Behörden fest, ein anderes Land sei für das Verfahren zuständig, mehr als jeder fünfte Bewerber wurde laut dem zuständigen Bundesamt abgelehnt. Von den syrischen Asylsuchenden wurden deutlich mehr anerkannt.

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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