Griechenland:Einsammeln, was geht

Lesezeit: 3 min

Athen verpflichtet Kommunen und Botschaften, ihre Geldvorräte abzugeben, sogar an Blumen wird gespart. Entscheidend aber ist die Reformagenda.

Von Cerstin Gammelin und Christiane Schlötzer, Brüssel/München

Empfänge, Blumengebinde, Festbeleuchtung - alles gestrichen. Griechische Botschaften sollen sparen, die Staatskasse in Athen braucht Geld.

Die Regierung von Alexis Tsipras hat alle staatlichen Einrichtungen, einschließlich der Kommunen im Land, per Dekret dazu verpflichtet, ihre Geldvorräte an die Zentralbank zu überweisen, damit in diesem Monat Renten, Rechnungen und Beamtengehälter gezahlt werden können. Die Grundlage für das entsprechende Dekret stammt aus dem Jahr 1951. Nicht alle, die noch Geld in der Kasse haben, wollen dies aber so einfach dem Staat zur Verfügung stellen, auch wenn Vizefinanzminister Dimitris Mardas verspricht, sie würden es demnächst wieder zurückerhalten.

Finanzminister Varoufakis tritt kaum noch in Athen auf, um aktuelle Beschlüsse zu erklären

Der griechische Städtetag ist in Aufruhr, Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis kündigte am Mittwoch an, er wolle über die Beschlagnahme seiner Haushaltskasse mit Regierungschef Tsipras reden. Am Mittwoch wurde kurzzeitig der wohl prominenteste Bauunternehmer des Landes festgenommen: wegen Steuerschulden. Leonidas Bobolas, Chef des Unternehmens Ellaktor, zahlte daraufhin 1,8 Millionen Euro an die Staatskasse. Bobolas twitterte, er habe sich gestellt, nachdem er über seine bevorstehende Festnahme benachrichtigt worden sei. Bobolas beglich zwar ausstehende Steuern, aber er weigerte sich, Strafgeld von 4,1 Millionen Euro zu zahlen. In Griechenland kann Strafgeld rasch ein Vielfaches der geforderten Steuern erreichen.

Aus der Ferne sieht alles wunderbar aus: Touristen schauen von der Akropolis auf die vor ihnen liegende griechische Hauptstadt Athen. (Foto: Kostas Tsironis/Bloomberg)

Tsipras hat immer wieder versprochen, er werde gegen die Oligarchen im Land vorgehen. Dass es seine Regierung damit ernst meint, erschien zuletzt aber immer zweifelhafter. Für diesen Eindruck sorgte auch ein Gesetz, das allen Steuerbetrügern, auch denen mit Außenständen von mehr als einer Million Euro, bis zu 100 Ratenzahlungen erlaubt. Die Bobolas-Familie ist auch Miteigentümerin des größten privaten Fernsehsenders in Griechenland. Die vorübergehende Festnahme des Unternehmers sollte wohl auch ein politisches Signal sein.

Unter den Euro-Partnern gilt das Linksbündnis Syriza als größter Risikofaktor dafür, dass die Verhandlungen mit Griechenland scheitern und das Land zahlungsunfähig werden könnte. "Syriza ist keine monolithische Partei und hat deshalb keine klaren Positionen", fasste ein hoher EU-Beamter seine Verhandlungserfahrung am Mittwoch zusammen. Mit einer Regierung, in der linke Radikale genauso viel bestimmen wollten wie Vertreter gemäßigter Positionen, sei es "schlicht nicht möglich, einen Kompromiss zu schließen". Hinzu komme ein Koalitionspartner, der radikale rechte Politikauffassungen vertrete.

Die politischen Spitzen der Euro-Partner haben sich angesichts des Interessenwirrwarrs in Athen darauf verlegt, mit Tsipras direkt zu reden. Der Premier gilt als vergleichsweise gemäßigt und kompromissbereit. Ob es Tsipras allerdings schafft, in den nächsten Wochen seine Regierung zu überzeugen, eine klare griechische Reformagenda zu beschließen, ist nicht gewiss. Anschließend muss er diesen Beschluss auch noch durch das Athener Parlament bringen. Und zwar rechtzeitig vor dem 30. Juni. Gelingt dies, kann das dramatisch verschuldete Land die noch im EU-Hilfsprogramm verbliebenen Finanzmittel in Höhe von 7,2 Milliarden Euro sowie Geld für die Bankensanierung in Höhe von elf Milliarden Euro abrufen. Der 30. Juni ist der letzte Tag, an dem das nach dem Amtsantritt von Tsipras verlängerte Programm noch gültig ist. Das Geld wird von Athen dringend gebraucht, um eine Pleite abzuwenden.

Einer der schillerndsten Mitstreiter von Premier Tsipras hat sich offenbar gedanklich aus der Regierung verabschiedet. Finanzminister Yanis Varoufakis tritt kaum noch in Athen auf, um aktuelle Beschlüsse oder Sachstände zu erklären. Am Mittwoch war es Staatsminister Nikos Pappas, der verkündete, die Regierung werde weder die Mehrwertsteuer auf den Inseln erhöhen noch Renten kürzen. "Die Regierung sucht und wird eine Lösung finden", sagte Pappas.

Varoufakis bereitet bereits die Vermarktung seiner Erfahrungen vor - in einem Buch, das am 5. Januar 2016 erscheinen soll, schon vorbestellt werden kann und den Titel trägt: "Und die Schwachen ertragen, was sie müssen? - Europas Krise und Amerikas wirtschaftliche Zukunft". Der US-Verlag Public Affairs in New York preist das Buch als Generalabrechnung mit der Euro-Zone an. Varoufakis, so ist auf der Homepage zu lesen, zeige, "dass die Euro-Zone ein Kartenhaus ist, das ohne radikale Veränderungen dazu bestimmt ist umzufallen". Und wenn die Europäische Union umfalle, so der Autor, werde sie die Weltwirtschaft mitreißen.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: