Gorleben:Ballast im Schacht

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Besucher im Erkundungsbergwerk Gorleben. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Im kommenden Monat soll die Endlagerkommission ihren Schlussbericht vorlegen. Doch kurz vor dem Ende ihrer Arbeit holt sie eine alte Diskussion ein: Ist der Salzstock im Wendland als Atommüll-Lager tabu? Der Streit spaltet die Experten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Zehn Kapitel und 267 Unterkapitel soll er haben, der Abschlussbericht der Endlagerkommission. Aber an einem einzelnen könnte alles scheitern: Kapitel 4.2.4 - Erkundungsbergwerk Gorleben.

Seit ziemlich genau zwei Jahren tritt die "Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" alle paar Wochen zusammen. Sie hat diverse Arbeitsgruppen gegründet und konsultiert ab und an die Öffentlichkeit. Bis Ende kommenden Monats soll der Abschlussbericht fertig sein. Nach 30 Jahren verkorkster Arbeiten am Atommüll-Endlager Gorleben soll sie den Weg weisen zu einer neuen Standortsuche: unvoreingenommen, nach wissenschaftlichen Kriterien, unter maximaler Beteiligung der Öffentlichkeit. Alles soll besser, damit auch Erfolg versprechender werden als einst in Gorleben. Doch just kurz vor Ende aller Arbeit wirft der Salzstock nun seinen dunklen Schatten über die Kommission.

Grund ist der Entwurf für eine Art geschichtliche Aufarbeitung der Causa Gorleben. Der SPD-Politiker Michael Müller, einer der beiden Vorsitzenden, hat ihn eingespeist, auf 14 Seiten skizziert Kapitel 4.2.4, was so alles schiefgelaufen ist rund um Gorleben. "Wenn man glaubwürdig einen Neuanfang machen will, dann muss man eine geschichtliche Aufarbeitung zulassen", sagt Müller. Wäre da nur nicht dieses Fazit, auf das der ganze Text zuarbeitet: Ein Endlager in Gorleben, so heißt es ganz am Ende, wäre "angesichts der Geschichte (. . .) politisch nicht durchsetzbar". Kurzum: Gorleben fiele aus der Suche heraus. "Auch Ausschlusskriterien sind politisch bestimmt", sagt Müller. "Warum sollen soziale und geschichtliche Kriterien dazu nicht zählen?"

Zwei Jahre lang hatte die Kommission um die heikle Frage Gorleben einen großen Bogen gemacht. Offiziell gilt bis heute das Ziel der "weißen Landkarte": Ein Endlager könnte demnach rein theoretisch überall im Land entstehen, erst Schritt für Schritt sollen die Regionen eingeengt werden. Überall, das hieße auch Gorleben. "Die Kommission wurde unter dieser Bedingung eingesetzt", sagt Robert Habeck, grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein. "Ein Kriterium wie ,politische Akzeptanz' wurde bewusst verworfen." Jetzt, kurz vor Ende des Projekts, müsse das so akzeptiert werden. Aber dafür ist es nun zu spät - der Entwurf ist in der Welt. Und er legt alte Fronten schonungslos offen.

Sie laufen quer durch die Doppelspitze der Kommission, der neben Müller die CDU-Politikerin Ursula Heinen-Esser vorsitzt, und selbst quer durch die Grünen. "Gorleben ist eine offene Wunde", sagt etwa Stefan Wenzel, Umweltminister in Niedersachsen und als solcher Parteifreund Habecks. Wie viel Wahrheit in der Feststellung von der politischen Durchsetzbarkeit stecke, "würde jeder erfahren, der Gorleben durchzusetzen versucht".

Aber wird dann jeder potenzielle Endlagerstandort verworfen, wenn die Bevölkerung genug Widerstand entfacht? Befürworter der "weißen Landkarte" befürchten das: Würde Gorleben vorab aus dem Rennen genommen, könnte das künftigen Bürgerinitiativen zusätzliche Legitimation verschaffen. "Wenn die Gegner Gorlebens recht haben, dann müssen sie sich ohnehin keine Sorgen machen", sagt der Unions-Abgeordnete Steffen Kanitz, ebenfalls Mitglied der Kommission. Die Kommission muss selbst die Kriterien aufstellen, an denen sich der Salzstock in Gorleben messen lassen muss. Was der Streit über das Geschichts-Kapitel an den Tag geholt hat, gärt bei diesen Fragen im Verborgenen.

So muss die Kommission noch klären, ob es über einem Salzstock ein schützendes Deckgebirge geben muss oder nicht. Eine solche Schicht gibt es in Gorleben nicht durchgängig. Das Projekt, in das die Energiekonzerne mehr als 1,6 Milliarden Euro versenkt haben, fiele damit raus. Umstritten ist auch noch, ob Ton, Granit und Salz als gleichermaßen geeignet gelten für den Atommüll. Während Salz sich vor allem im Norden findet, kommen Ton und Granit vor allem im Süden vor. Jede dieser Festlegungen hat Folgen für die "weiße Landkarte". Es gebe, klagt Niedersachsens Minister Wenzel, in der Kommission "Akteure, die ganze Landstriche von jeder weiteren Debatte frei halten wollen". So, wie auch ein politisches Aus für Gorleben die Debatte im Wendland beenden würde.

Nächste Woche will sich die Kommission mit der Streitfrage befassen. "Da steckt viel Sprengstoff drin", sagt Unionsmann Kanitz. Knüpfe Müller den Erfolg des Gremiums an das Schicksal Gorlebens, "dann scheitert die ganze Kommission". Schon steht infrage, ob der Abschlussbericht bis zum 30. Juni fertig wird, inklusive einer angemessenen Beteiligung der Öffentlichkeit. Zu einem späteren Termin, so hat Bundestagspräsident Norbert Lammert durchblicken lassen, wolle er den Bericht nicht entgegennehmen.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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