Ghana:Afrikas engagierteste Peacekeeper

Lesezeit: 4 min

Auf der Hut: ein ghanaischer Blauhelmsoldat bei einem Einsatz in Elfenbeinküste. (Foto: Kambou Sia/AFP)
  • Schon seit den ersten UN-Missionen ist Ghana ein bedeutender Truppensteller für Friedenseinsätze.
  • UN-Einsätze sind für finanzschwache Staaten wie Ghana oft die einzige Möglichkeit, die Arbeit der Vereinten Nationen zu unterstützen und so ein gewisses Maß an Einfluss auszuüben.
  • Reichere Staaten haben sich in den zwei vergangenen Jahrzehnten immer mehr aus der aktiven UN-Friedenssicherung zurückgezogen.

Von Isabel Pfaff, Accra

Roméo Dallaire hat das Grauen gesehen. Der Kanadier war 1994 Kommandeur der Blauhelmtruppen in Ruanda, als dort der Völkermord begann. Er war einer der wenigen UN-Soldaten, die inmitten des Tötens nicht die Flucht ergriffen - er und ein Kontingent aus Ghana. Genau wie Dallaire widersetzten sich die knapp 450 ghanaischen Blauhelme dem Abzugsbefehl aus New York, während andere Nationen wie Belgien ihre Soldaten rasch abzogen. Heute ist der einstige UN-Kommandeur ein kranker Mann, den die damaligen Ereignisse in Ruanda nicht loslassen - und der Mut der ghanaischen Truppen ist fast vergessen.

Nur auf einem Stück Militärgelände am Rand von Ghanas Hauptstadt Accra, direkt am Meer, wird deutlich, was das kleine westafrikanische Land in internationalen Friedenseinsätzen geleistet hat. Hier hat der dankbare Dallaire 2007 einen Baum gepflanzt; bis heute erinnert eine Gedenktafel an seinen Besuch. Auch der ehemalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der Italiener Giorgio Napolitano, der frühere dänische Verteidigungsminister Søren Gade und Schwedens Prinzessin Victoria waren hier und haben zwischen den leuchtend blauen Gebäuden Bäume und Tafeln hinterlassen - als Anerkennung für eine Armee, die zu den fleißigsten und professionellsten zählt, wenn es um internationale Friedenseinsätze geht. In seinem Buch "Handschlag mit dem Teufel" über den Völkermord in Ruanda schreibt Roméo Dallaire über seine Kollegen aus Ghana: "Sie standen an jeder neuen Front in vorderster Linie und schwankten nie. Sie warteten nicht darauf, versorgt zu werden ... und waren unschlagbar im Organisieren."

Logistik, Entwaffnung und Beobachtung von Wahlen

Schon seit den ersten UN-Missionen ist Ghana ein bedeutender Truppensteller für Friedenseinsätze. Aktuell belegt es Platz sieben unter den Ländern, die weltweit die meisten Blauhelme schicken. Im afrikanischen Vergleich kommt nur aus Äthiopien und Ruanda mehr UN-Personal - und das, obwohl Ghanas Armee bei Weitem nicht zu den größten des Kontinents gehört. Hinzu kommen die Einsätze, die nicht unter UN-Führung stehen: Auch in die Friedensmissionen der westafrikanischen Organisation Ecowas entsendet das Land Truppen.

Seit knapp elf Jahren werden Ghanas Peacekeeper auf dem Militärgelände am Rand von Accra, in den blauen Gebäuden des Kofi Annan International Peacekeeping Training Centers (KAIPTC) trainiert. Das Zentrum, benannt nach dem weltweit wohl berühmtesten Ghanaer, ist eine Einrichtung der ghanaischen Armee, doch es richtet sich explizit an die gesamte Region Westafrika. "Wir wollten unsere Erfahrung aus fünf Jahrzehnten Peacekeeping auch an unsere Nachbarn weitergeben", sagt Obed Boamah Akwa, der das KAIPTC als Kommandant leitet. Der 59-Jährige hat selber in vielen Friedensmissionen gedient, zuletzt im Kongo.

Der Schwerpunkt des Kofi-Annan-Zentrums hat sich seit den Anfangsjahren vom militärischen Training wegbewegt. Am KAIPTC lernen Peacekeeper inzwischen vor allem das, was im Armee-Training zu kurz kommt: "Peacekeeping-Logistik", "Wahlbeobachtungstraining" oder "Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration" heißen die Kurse, die man hier belegen kann.

"Das hat damit zu tun, dass sich internationale Friedenseinsätze verändert haben", erklärt KAIPTC-Chef Akwa. Mittlerweile engagiere man sich in "multidimensionalen Einsätzen", nicht mehr nur rein militärisch: Blauhelme müssen heutzutage Kämpfer entwaffnen, Wahlen organisieren und Märkte wieder aufbauen - zusätzlich zu ihren üblichen Friedens- und Sicherheitsaufgaben. Deshalb werden inzwischen auch Polizisten und zivile Kräfte in die Missionen entsandt. Und am KAIPTC trainiert. Die Aufgabe des eigentlichen Militärtrainings hat ein mobiles Schulungsteam des KAIPTC übernommen. Die Ausbilder trainieren ghanaische Truppen in ihren Armee-Camps. Manchmal gehen sie auch in die Nachbarländer oder in schon laufende Friedensmissionen und unterrichten die Peacekeeper dort.

Am Zentrum selbst werden jährlich etwa tausend Teilnehmer trainiert. "Etwa 80 Prozent kommen aus Westafrika, die übrigen aus anderen Teilen des Kontinents und auch von außerhalb Afrikas", sagt Kommandant Akwa. Die meisten Teilnehmer kommen jedoch aus Ghana.

UN-Einsätze sind für finanzschwache Staaten wie Ghana oft die einzige Möglichkeit, die Arbeit der Vereinten Nationen zu unterstützen und so ein gewisses Maß an Einfluss auszuüben. KAIPTC-Leiter Akwa formuliert es etwas schöner: "Es gehört zu unseren politischen Überzeugungen, dass wir weltweit zu Frieden und Sicherheit beitragen müssen."

Truppensteller-Nationen werden von den UN für ihren Einsatz entschädigt. Ärmere Staaten profitieren von dieser Pauschalvergütung stärker als reiche - ein weiterer Anreiz, den eigenen Truppen blaue Helme aufzusetzen. Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte.

Reichere Staaten haben sich in den zwei vergangenen Jahrzehnten immer mehr aus der aktiven UN-Friedenssicherung zurückgezogen. Große Militärmächte wie die USA oder Kanada zahlen inzwischen lieber für UN-Einsätze, statt das Risiko einzugehen, dabei eigene Soldaten zu verlieren. Die Opfer bringen Staaten wie Ghana: Seit es UN-Friedenseinsätze gibt, hat das Land 133 Peacekeeper verloren - übertroffen nur von Pakistan, Nigeria und Indien.

Angehörige der ghanaischen Armee schreckt das nicht. "Wenn du Soldat in Ghana wirst, weißt du, dass du oft an Auslandseinsätzen teilnehmen wirst", sagt Daniel Akpeko. Der ghanaische Armeeoffizier ist einer von etwa 30 Männern und Frauen, die am KAIPTC gerade den Kurs "Konfliktanalyse und Mediation" besuchen. Knapp zwei Wochen verbringen sie in dem Zentrum in Accra, untersuchen in dem Seminar aktuelle Krisen in Afrika und lernen, wie sie eingedämmt werden können.

Für Akpeko, Spezialist für Einsatzlogistik, ist es der zweite Kurs am Zentrum. Er wurde schon in fünf Friedensmissionen entsandt. "Auch wenn ich schon Erfahrung habe, schärfen die Kurse hier meine Fähigkeiten", sagt er. Eine Frau in der blauen Uniform der ghanaischen Marine stimmt ihm zu: "Der Kurs ist hilfreich, er gibt einen Leitfaden an die Hand, wie man mit den Konflikten im Einsatzgebiet umgehen sollte", sagt sie.

Nicht alle Kursteilnehmer tragen Uniform. Stéphane Djegba, ein junger Mann im bunt gemusterten Hemd, kommt aus dem Nachbarland Elfenbeinküste. "Ich arbeite für eine Nichtregierungsorganisation, die Dorfchefs zu Streitschlichtern ausbildet", sagt er mit französischem Akzent. Er findet den Kurs sehr gut, nur die Unterlagen könnten zweisprachig sein, meint er. Djegba ist einer der Zivilisten, die am KAIPTC auf Friedensmissionen vorbereitet werden. Leute wie er kommen als Menschenrechts- oder Wahlbeobachter zum Einsatz.

30 000 Menschen vor Hutu-Extremisten gerettet

In den vergangenen Jahren hat das Kofi-Annan-Zentrum über Westafrika hinaus an Bedeutung gewonnen. Hintergrund ist die neue Sicherheitsarchitektur, an der Afrika seit gut zehn Jahren bastelt. "Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme" lautet das Motto der Staats- und Regierungschefs, die die Krisen des Kontinents zunehmend selbst in die Hand nehmen wollen. Unter anderem soll es ein Frühwarnsystem geben, ein hochrangiges Vermittlerteam und schnelle Eingreiftruppen in den einzelnen Regionen.

Das KAIPTC - zusammen mit zwei kleineren Zentren in Mali und Nigeria - ist in diesem Gefüge zuständig für die Ausbildung der Peacekeeper, die bei Krisen in Westafrika zum Einsatz kommen sollen. Aktuell dienen KAIPTC-Alumni zum Beispiel in Missionen in Liberia, Mali und der Elfenbeinküste. Auch in anderen Teilen Afrikas, in Darfur oder Somalia, sind Absolventen aktiv.

Die Bäumchen neben den Kursräumen erinnern die KAIPTC-Schüler daran, wessen Erbe sie antreten. Zusammen mit Roméo Dallaire sollen die ghanaischen Blauhelme in Ruanda mehr als 30 000 Menschen vor den mordenden Hutu-Extremisten gerettet haben.

© SZ vom 14.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: