Gewalt in Syrien:Syrische Offiziere setzen sich ins Ausland ab

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Mehrere hochrangige Militärs der syrischen Armee sollen ins Nachbarland Türkei geflüchtet sein - für Außenminister Westerwelle ein klares Zeichen, dass Assads Regime in Damaskus zerfällt. Der Europarat spricht der syrischen Führung bereits die Legitimation ab. Das Morden geht jedoch unvermindert weiter.

In Syrien laufen immer mehr Vertreter von Staat und Armee zur Opposition über. Die von Rebellen gebildete Freie Syrische Armee berichtete von vier ranghohen Offizieren, die in den vergangenen Tagen Präsident Baschar al-Assad den Rücken gekehrt hätten und in ein Lager von Deserteuren in die Türkei geflohen seien. In einem Bericht des staatlichen türkischen Fernsehens war von zwei Generälen und einem Oberst die Rede, die sich ins Nachbarland abgesetzt hätten. Zuvor war als bislang höchster Regierungsvertreter der stellvertretende Ölminister Abdo Hussameldin zur Opposition gewechselt.

Straßenzug in der Protesthochburg Homs. (Foto: REUTERS)

Bundesaußenminister Guido Westerwelle wertete die Absetzbewegungen als Anfang vom Ende des Assad-Regimes. "Der Zerfallsprozess des Assad-Regimes hat begonnen. Die Erosionserscheinungen werden sich fortsetzen", sagte Westerwelle, der am Samstag zu Gesprächen über die Syrien-Krise nach Saudi-Arabien sowie den Jemen und später zu den UN nach New York reisen sollte.

Kein Land lasse sich auf Dauer mit Grausamkeit und Unterdrückung regieren, sagte er weiter. Die Kunde von den Deserteuren bezeichnete der FDP-Politiker als "eine sehr gute Nachricht". Westerwelle forderte zudem, dass Russland seine Haltung zu Syrien überdenkt. Bisher blockiert Moskau ein härteres Vorgehen im Weltsicherheitsrat.

Assads Kräfte gehen unterdessen weiter mit unverminderter Härte gegen die Opposition vor und töteten nach deren Angaben am Freitag 38 Menschen, 20 davon allein in der Protesthochburg Homs. In einem Teil der Millionenstadt seien Granaten in einen Demonstrationszug eingeschlagen. Auch eine Moschee sei getroffen worden. Tote gab es den Oppositionsangaben zufolge auch in der Hauptstadt Damaskus sowie in den Provinzen Hama, Idlib und Aleppo. In Idlib im Nordwesten des Landes sollen dabei vier Dörfer gestürmt und mindestens 13 Zivilisten von Regierungstruppen getötet worden sein, wie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.

Trotz der anhaltenden Gewalt warnten mehrere EU-Außenminister vor einem militärischen Eingreifen. Stattdessen soll die Sanktionspolitik fortgesetzt werden. Eine Militärintervention, wie sie die USA und Israel im Atomstreit mit Iran diskutieren, lehnen die EU-Außenminister dagegen strikt ab.

Die öffentliche Debatte über einen Militäreinsatz mindere die Chancen, dass sich weitere Länder an den laufenden Sanktionen gegen Iran beteiligen, sagte Westerwelle. In Syrien drohe bei einem Militärschlag ein Flächenbrand. "Die Sanktionen in Syrien wirken", sagte der österreichische Außenminister Michael Spindelegger. Nun gehe es darum, die Vermittlungsmission des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan zum Erfolg zu führen. Der Syrien-Sonderbeauftragte der UN und der Arabischen Liga wird am Samstag in Damaskus erwartet. Annan will dort für eine Verhandlungslösung werben.

Der Vorsitzende der wichtigsten syrischen Oppositionsgruppe wies Annans Forderung nach einem Dialog mit der Regierung in Damaskus allerdings bereits im Vorfeld zurück. Dergleichen sei sinnlos und unrealistisch, sagte der Vorsitzende des Syrischen Nationalrats (SNC), Burhan Ghaliun, telefonisch aus Paris. Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos äußerte sich derweil "extrem besorgt" über das Schicksal von Bewohnern der umkämpften syrischen Stadt Homs.

Nach einem Besuch in dem schwer zerstörten Stadtviertel Baba Amro forderte Amos in der türkischen Hauptstadt Ankara ungehinderten Zugang für Hilfsorganisationen in Syrien, um Verletzte in Sicherheit zu bringen und Hilfsgüter bereitstellen zu können. "Ich war entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung", erklärte Amos zur Lage in Baba Amro, nachdem sie in Ankara mit dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu beraten hatte. "Fast alle Gebäude sind zerstört, und es sind kaum noch Menschen da."

Amos sagte weiter, sie habe während ihres zweitägigen Besuches in Syrien mit mehreren Ministern über die humanitäre Lage gesprochen. Die Führung in Damaskus habe zugestimmt, in die besonders hilfsbedürftigen Landesteile gemeinsame, vorbereitende Hilfsmissionen zu entsenden. Dies könne aber nur ein erster Schritt sein, erklärte Amos. Es müsse nun eine belastbare Übereinkunft geben, um Hilfsorganisationen eine ungehinderte Arbeit zu erlauben. Sie habe der syrischen Regierung dazu einen konkreten Vorschlag unterbreitet.

Die Gewalt des Assad-Regimes hat zu einer Flüchtlingswelle in die Nachbarländer geführt. Nach UN-Schätzungen sind seit dem vergangenen Jahr mindestens 25.000 Syrer ins Ausland geflüchtet. Das berichtete Adrian Edwards vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf. Edwards fügte hinzu, dass seit dem Beginn der Unruhen auch innerhalb Syriens viele Menschen auf der Flucht seien. Etwa die Hälfte der syrischen Flüchtlinge sind nach Angaben des türkischen Außenministeriums in Auffanglagern des nördlichen Nachbarlandes registriert. Allein in der vergangenen Woche hätten etwa 800 Personen die Grenze überschritten. Auch nach Libanon und Jordanien sind Tausende Syrer geflüchtet.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/AFP/Reuters/ros - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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