Geschlechtergerechtigkeit:Freie Wahlen, gleiche Chancen

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Frauen demonstrieren im Oktober 2020 in Potsdam für Brandenburgs Paritätsgesetz, nachdem es vom Landesverfassungsgericht gekippt wurde. Auch die Karlsruher Richter werden sich damit befassen müssen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Muss der Bundestag gesetzlich festlegen, dass Frauen im gleichen Maß im Parlament vertreten sind wie Männer? Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage einer Frauengruppe nun zurückgewiesen - lässt aber für ein solches Paritätsgesetz noch eine Tür offen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn das Bundesverfassungsgericht stattliche 34 Seiten benötigt, um zu begründen, dass an einer Beschwerde eigentlich überhaupt nichts dran sei, dann zeugt dies von höchstrichterlichem Mitteilungsbedürfnis. Der Zweite Senat des Karlsruher Gerichts hat nun mit einem derart wortreichen Beschluss die erste Beschwerde zur Geschlechterparität im Bundestag als unzulässig abgewiesen - und wollte damit offenkundig ein Signal aussenden.

Das Ergebnis war freilich absehbar. Eine Gruppe von Frauen, vertreten durch die Rechtsprofessorin Silke Laskowski, hatte eine Wahlprüfungsbeschwerde mit dem Ziel eingelegt, den Bundestag zu einem Paritätsgesetz zu verpflichten. Und zwar, weil der Frauenanteil im Bundestag bei der letzten Wahl auf rund 30 Prozent gesunken sei. Das höchste deutsche Gericht sollte also die Pflicht der Parteien zur Aufstellung geschlechtergerechter Wahllisten gleichsam in eigener Hoheit anordnen. Dass das Gericht - gelegentlich als "Ersatzgesetzgeber" gescholten - dies mit Verweis auf den "weiten Gestaltungsspielraum" des Gesetzgebers ablehnen würde, kam nicht überraschend.

Das Problem wird die Richter schon bald wieder beschäftigen

Wie aber würde das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wenn der Bundestag dereinst ein Bundesparitätsgesetz erlassen würde? Mit Pflicht der Parteien zur Quotierung der Wahlvorschläge? Damit wird man sich in Karlsruhe bald auseinandersetzen, denn Verfassungsbeschwerden zu den Paritätsgesetzen in Thüringen und Brandenburg, die von den Landesverfassungsgerichten vergangenes Jahr gekippt worden sind, liegen bereits vor.

Der ausführliche Beschluss dürfte die Unterstützerinnen der "Parité" freilich enttäuschen. Zwar hat sich das Gericht nicht wirklich festgelegt; die Ablehnung einer Beschwerde als "unzulässig " lässt mehr offen als das Verdikt "unbegründet ". Allerdings gibt das Gericht den Argumenten der Paritätskritiker großen Raum.

Das Wahlrecht achtet strikt auf Formen

Erster Punkt: die Gleichheit der Wahl. Dieser Grundsatz gebiete, "dass alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können". Wenn es aber um formal gleiche Chancen gehe, folgert das Gericht, dann könnte doch gerade das Fehlen von Paritätsvorgaben der Chancengleichheit Rechnung tragen, "während die Anordnung von Paritätsverpflichtungen diesem Grundsatz widerspräche". Das Wahlrecht, soll das heißen, achtet strikt auf Formen und lässt wenig Raum für den Ausgleich faktischer Benachteiligungen.

Zweiter Punkt: die Repräsentation. "Die Abgeordneten sind nicht einem Land, einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verantwortlich", heißt es in dem Beschluss. Das freie Mandat der Parlamentarier enthalte eine Absage an alle Formen einer Bindung an regionale oder gesellschaftliche Gruppen. Eine "Spiegelung" der weiblichen Wahlbevölkerung im Parlament sei in diesem Verständnis also gerade nicht angelegt. Wäre dies anders, dann, so das Gericht, müsste man womöglich auch für die Repräsentation anderer zu wenig vertretener Gruppen sorgen.

Entscheidend ist Artikel 3 Grundgesetz

Drittens: die Parteienfreiheit. Karlsruhe verweist hier ausdrücklich auf die Entscheidungen der Verfassungsgerichte Thüringens und Brandenburgs, wonach Paritätsgebote in die Freiheit der Parteien bei der Auswahl ihrer Kandidatinnen und Kandidaten eingreifen. Zwar müssten sich die Parteien dabei an demokratische Regeln halten. "Abgesehen davon gewährleistet die Parteienfreiheit aber, dass die Parteien die Benennung von Wahlvorschlägen frei und unbeeinflusst von staatlicher Intervention vornehmen können."

Sind damit alle Aussichten dahin, dass Karlsruhe ein Paritätsgesetz akzeptieren könnte? Fast am Ende des Beschlusses stellt man fest, dass das Gericht doch noch eine Tür für die Geschlechterparität in den Parlamenten offen gelassen hat. Entscheidend ist nämlich Artikel 3 Grundgesetz, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert. Das klingt eben doch wie eine Einladung zur Parité. Ob dieser Satz nicht doch ein geschlechtergerechtes Verständnis des Wahlrechts verlangt - das ließ das Gericht ostentativ offen.

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