Geschichte:Stoff für Träume

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Die Seidenstraße ist uralt, die erste Blüte des Handelsweges ist gut 2000 Jahre her. Jetzt gewinnt sie für die Chinesen eine neue Bedeutung.

Von Kai Strittmatter

Das Ende der Seidenstraße war nicht immer Duisburg. Oder Nürnberg. Der Titel gebührte in der Antike und später, im frühen Mittelalter, je nach Anschauung Städten wie Alexandria, Antiochien oder Konstantinopel. Oder, eine Schiffsreise weiter, dem großen Rom selbst. Wo sich Frauen und Männer gleichermaßen um die kostbare Seide rissen, den Stoff angeblich in Gold aufwogen, sodass der Senat gar versuchte, den dekadenten Luxus zu untersagen. "Serica" nannten sie das geheimnisvolle Land am Ende der Welt, wo auf unzähligen Maulbeerbäumen unzählige Seidenraupen ihren Dienst taten, von deren Tun die Römer aber nichts ahnten: Land der Seide. Das war, fast 7000 Kilometer im Osten, China.

Die Seidenstraße war auch nicht immer die Seidenstraße, den Namen hat sie erst seit 150 Jahren. Dem deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen gefiel es 1877, das Jahrtausende alte Netz von Handelswegen zwischen China und Europa so zu nennen. Abenteurer und Forscher wie Sven Hedin machten den Begriff dann über ihre Bücher und Vorträge populär.

Und natürlich war die Seide nicht das Einzige, was da hin- und herwanderte zwischen Ost und West. Aus China wurden auch kostbares Porzellan, Keramik, Tee oder Jade gen Westen transportiert. Die chinesische Hauptstadt Chang'an selbst empfing Gewürze, Arzneien, Farbstoffe, Gold, Silber, Edelsteine, Glas, aber auch exotische Tiere wie Löwen oder Papageien. Die meisten der Kostbarkeiten, die China erreichten, stammten dabei gar nicht aus Rom, sondern aus den Ländern Zentralasiens entlang der Seidenstraße. Und nebenbei waren - oft als blinder Passagier - auch Ideen, Technologien, Kultur und Religion im Gepäck. Der Buddhismus gelangte so von Indien nach China, später sickerten jüdische und christliche Gemeinden (meist Nestorianer) ein. Und Europa machte Bekanntschaft mit der Papierherstellung oder mit dem Schwarzpulver. Und später mit der Pest.

Die Expansion des chinesischen Großreiches nach Westen unter dem Kaiser Han Wudi (141 bis 87 v. Chr.) hatte der Seidenstraße ihre erste Blüte ermöglicht. Der Han-Kaiser verdoppelte die Größe des Reiches und eroberte Territorien, in denen etwa die feindlichen Xiongnu ihr Unwesen trieben. Die Handelswege waren von da an sicherer. Ebenso blühte der Handel unter dem Großreich der Tang-Dynastie (7. bis 10. Jahrhundert) und später unter dem Mongolenimperium (bis ins 13. Jahrhundert). Zur Mongolenzeit schaffte es der venezianische Kaufmann Marco Polo bis ins sagenhafte Cathay. Leicht war die Reise nie, das machte die Dinge teuer, die auf dem Rücken von Kamelen in die eine oder andere Richtung schaukelten. Die Karawanen hatten entsagungsreiche Reisen vor sich durch oft lebensfeindliches Wüstenland. Es gab allerdings mehr als nur eine Route: Mal nahmen die Händler den Weg nördlich der Wüste Taklamakan, mal entschieden sie sich für den Süden. Und wahrscheinlich gab es keine Karawane, die den ganzen Weg zurücklegte. Üblich waren Teilstücke, ein Zwischenhändler übergab an den nächsten. So profitierten im Laufe der Jahrhunderte viele Völker von dem Handel, etwa die Parther, die Sogdier, die Xiongnu oder die Tibeter.

Der Niedergang der Seidenstraße begann mit dem Ende der "Pax Mongolica". Kriege und Banditen machten den Karawanen zu schaffen. Besiegelt wurde er dann durch das Aufkommen des globalen Seehandels, vor allem den Aufstieg der europäischen See- und Kolonialmächte. Die Portugiesen erreichten 1514 China, nun gab es eine neue, schnellere und sicherere Route. Dass der Aufstieg der westlichen Seemächte einherging mit dem Niedergang Chinas, dass das "Reich der Mitte" mit einem Mal zum Spielball europäischer Kolonialmächte wurde, ist ein Trauma, das in Chinas nationaler Psyche bis heute nachhallt.

Xi Jinpings "Chinesischer Traum" ist der Traum von der Wiederherstellung der alten Größe: China als Land in der Mitte der Welt, mit dem man handelt, zu dem aber all die anderen vor allem aufsehen und dem sie Tribut zollen. Insofern passt der begriffliche Rückgriff auf die Zeiten der Han- oder Tang-Dynastie. Chinas Propaganda spricht bei den Projekten der "Neuen Seidenstraße" zwar viel von Kooperation und Gleichberechtigung, aber in der Praxis wird China wohl das Heft in der Hand behalten. In Xi Jinpings idealer Welt führen alle Wege wieder ins Reich der Mitte.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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