Geschichte:"Heute Tannen, morgen wir"

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Über Jahrhunderte war er die Rohstoffquelle schlechthin, in Märchen ist er ein Ort des Grusels, für die Romantiker einer für die Seele. Warum der Wald den Deutschen seit Langem so am Herzen liegt.

Von Michael Bauchmüller

Im Mai 1981 lädt der Umweltverband BUND zur Presse-Exkursion nach Vohenstrauß im Bayrischen Wald. "Da sah man, wie massiv die Bäume an Nadeln verloren hatten", sagt Hubert Weiger, "von innen nach außen." Weiger, heute Chef des Umweltverbands, hatte die Exkursion mit organisiert. "Wer die Schäden einmal gesehen hatte, der ging anders durch den Wald." Verfolgt man den Begriff "Waldsterben" zurück, dann landet man in jenem Mai 1981, in der Oberpfalz. Geprägt hatte ihn dort der Münchner Forstbotaniker Peter Schütt. Der Begriff machte Karriere.

Die Deutschen und der Wald, das ist eine besondere Beziehung. Über Jahrhunderte hinweg war er die Rohstoffquelle schlechthin. Sein Holz sorgte für Wärme im Winter, er war Jagdrevier, seine Stämme boten Baumaterial für Hütten und Häuser. In Märchen war er ein Ort des Grusels, für die Romantiker einer für die Seele. In dem Maße, in dem Städte und Fabriken wuchsen, wurde der Wald zum Inbegriff von Natur und Ruhe.

Es spricht Bände, dass auch der Ursprung des deutschen Umweltbewusstseins im Wald liegt. Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1713 legt Hans Carl von Carlowitz seine "Sylvicultura oeconomica" vor, eine "Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht". Deutschland, so warnt Carlowitz, drohe ein Notstand, sollte der Wald weiter geplündert werden - und sollte keiner darüber nachdenken, "wie solcher abgang zum förderlichsten wieder zu ersetzen beflissen seyn wird". Nötig sei "eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung". Es ist die Geburt der "Nachhaltigkeit", des sorgsamen Umgangs mit Ressourcen.

Damals wie heute hat das auch wirtschaftliche Gründe. Carlowitz ist Oberberghauptmann im sächsischen Freiberg. Ihn interessiert nicht die Idylle des Waldes, sondern sein Holz. Das braucht er für Erzstollen. Aber im deutschen Wald reift erstmals der Gedanke, dass Raubbau an der Natur auch ökonomische Folgen hat.

1981 führt das Elend der Bäume die Waldbesitzer mit besorgten Bürgern, Förstern und selbst Gewerkschaftern zusammen. "Heute Tannen, morgen wir", steht auf Plakaten, mit denen badische Bürgerinitiativen gegen Waldsterben und Atomkraft gleichzeitig protestieren. Befördert von Bildern zahnstocherartiger Bäume, werden Waldsterben und "saurer Regen" zu Treibstoffen der jungen Umweltbewegung. Und als 1983 erstmals die Grünen in den deutschen Bundestag einziehen, überreicht die junge Abgeordnete Marieluise Beck dem neuen Kanzler Helmut Kohl einen traurigen Tannenzweig, als Mahnung. Kohls Regierung bahnt dann tatsächlich den Weg für Rauchgas-Entschwefelungsanlagen und Katalysatoren.

In der Folge geht vor allem der Schwefelgehalt in der Luft zurück, das Sterben der Wälder scheint gerade noch abgewendet zu sein. Über den Wipfeln kehrt wieder Ruh' ein, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Jahr für Jahr werden seit 1984 "Waldschadensberichte" veröffentlicht, nach wenigen Jahren wurden sie in "Waldzustandsberichte" umgetauft. Das klingt harmloser. Dass sie selten gute Nachrichten enthalten, scherte aber keinen mehr groß, nur der Borkenkäfer schafft es zwischenzeitlich noch in die Schlagzeilen.

Warum das Interesse so abebbte? "Man hat's eben nicht mehr gesehen", sagt BUND-Chef Weiger. "Die Wälder waren ja schön grün." Das aber liege nicht an ihrer Gesundheit, sondern, paradox genug, an einem Umweltproblem. Aus Landwirtschaft und Verkehr gerate immer mehr Stickstoff in den Waldboden - Dünger. Für den Wald sei das gefährlich. "In Wahrheit tickt da eine Zeitbombe", sagt Weiger.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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