Geplante Weitergabe von Bürgerdaten:Gesetz schreddert Datenschutz

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Gegen die Meldepflicht ist nichts einzuwenden, gegen das Meldegesetz sehr wohl: Die vom Staat erhobenen Daten sollen Adresshändlern, Inkassounternehmen und der Werbewirtschaft zur Verfügung stehen, der Bürger allerdings soll dagegen kein klares Recht auf Widerspruch haben. Doch damit veruntreut der Staat die Daten seiner Bürger - und offenbart ein grundgefährliches politisches Bewusstsein.

Heribert Prantl

Die Melderegister sammeln die Grunddaten der Menschen in Deutschland: Namen, Anschrift, Geschlecht, Geburtsdatum, Personenstand, Wohnort. Sie halten fest, wer wann wohin umgezogen ist, sie halten fest, wo er seinen Erst- und Zweitwohnsitz hat. Diese Daten sind die Grundlage für jegliches Handeln der öffentlichen Verwaltung; deshalb gibt es bei jedem Umzug eine Meldepflicht. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Sehr wohl aber ist etwas dagegen einzuwenden, wenn der Staat - wie es jetzt Gesetz werden soll - mit diesen Daten Handel treibt, wenn der Staat der Wirtschaft den großen Zugang zu diesen Daten öffnet. Das ist eine Form von Untreue: Der Staat veruntreut die Daten seiner Bürger. Der Bürger kann sich nicht dagegen wehren, dass der Staat seine Daten in einem Register festhält. Er muss sich aber dagegen wehren können, dass der Staat diese Daten an beliebige Interessenten weitergibt. Der Bürger muss das Recht haben, die Weitergabe dieser Daten zu verbieten.

Das neue Meldegesetz gibt ihm dieses Recht aber nur als Attrappe, es verdunkelt die Weitergabe auch noch. Leider hat das sowohl die Opposition im Bundestag als auch die Öffentlichkeit, sprich: die Presse, zu spät gemerkt. Das Gesetz ist im Bundestag bereits verabschiedet. Nun wird der Bundesrat es richten müssen.

Falschentwicklung statt Fortentwicklung

Bei der Föderalismusreform wurde seinerzeit vereinbart, dass künftig das Meldewesen zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes gehört. Dagegen war und ist nichts zu sagen. Es wurde aber nicht vereinbart, dass die Melderegister künftig den Adresshändlern, Inkassounternehmen und der Werbewirtschaft zur Verfügung stehen. Aber genau so wird es nun sein, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt: Jede interessierte Firma kann künftig systematisch, in großem Stil und gegen Geld in den großen staatlichen Adressenpool greifen. Diese neue Funktion offenbart das neue Gesetz unfreiwillig schon in seinem Titel: Es heißt nämlich "Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens".

Diese Fortentwicklung besteht in einer Falschentwicklung: Das Melderecht entfernt sich vom Datenschutz; es konterkariert die Rechtslage im Bundesdatenschutzgesetz. Und es schlägt einen weiten Bogen um die informationelle Selbstbestimmung, die ein ungeschriebenes Grundrecht ist. Wirtschaftsinteressen sind offenbar stärker als dieses Grundrecht. Schon bisher, in den Meldegesetzen der Länder, war dieses Grundrecht nicht besonders gut gesichert. Aber jetzt, im Bundesgesetz, sind die Sicherungen noch schwächer.

Gewiss: Jedem Bürger gibt das neue Recht die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Weitergabe seiner Daten einzulegen. Aber dieser Widerspruch kann spielend leicht umgangen werden. Der Staat darf den Firmen für "Zwecke der Werbung oder des Adresshandels" Melderegisterauskünfte erteilen, "wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden". Das heißt: Der Widerspruch ist nichts wert.

Der Staat erhebt Daten seiner Bürger, zum Beispiel, wo sie ihren Erst- und Zweitwohnsitz haben. Das geplante Meldegesetz verabschiedet sich vom bisherigen Hauptzweck des Meldewesens; es dient sich jetzt der Privatwirtschaft an. (Foto: dapd)

Adresshändler, so klagen Datenschutzbeauftragte, können sich künftig wertvolle Behördendaten verschaffen und danach teuer weiterverkaufen. Das neue Melderecht schreddert den Datenschutz. Aus der informationellen Selbstbestimmung wird per Gesetz informationelle Fremdbestimmung.

Das Melderegister setzt das historische staatliche Interesse an der Zählung der Bevölkerung und der Erfassung privater Daten in der Gegenwart fort. Das Register, das ein Zwangsregister ist, weil niemand sich ihm entziehen kann, ist in erster Linie für die Verwaltung da, und - nach Abwägung im Einzelfall - für private Interessenten, etwa dann, wenn sie auf der Suche nach Schuldnern sind, die sich einer Geldzahlung entzogen haben. Das neue Recht verabschiedet sich vom bisherigen Hauptzweck des Meldewesens; es dient sich jetzt der Privatwirtschaft an. Das ist ein Missbrauch der Daten und ein Treubruch gegenüber dem Bürger.

Es handelt sich bei diesen Daten nicht um intime Daten, sondern um bürgerliche Grunddaten. Aber der sorglose legislative Umgang damit offenbart ein grundgefährliches politisches Bewusstsein. Der Gesetzgeber hält die Interessen der Werbewirtschaft für wichtiger als die Interessen der Bürger.

Wenn aber der Staat die von ihm erhobenen und ihm anvertrauten Daten nicht schützt, wie will er da glaubhaft von Google, von Aldi, Bahn und Post Datenschutz verlangen? Der Staat selbst macht mit dem neuen Melderecht aus dem Datenschutz kleine Münze. Das ist nicht nur ein Tort gegen den Datenschutz. Das ist ein Tort gegen den Grundsatz, auf dem das demokratische Gemeinwesen fußt: Der Staat ist für den Bürger da - nicht der Bürger für Staat und Wirtschaft.

© SZ vom 09.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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