Georgien:Opposition zweifelt Wahlergebnis an

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In Tiflis gingen Demonstranten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses auf die Straße. (Foto: Vano Shlamov/AFP)

Die Regierungspartei "Georgischer Traum" holt bei der Abstimmung über ein neues Parlament 48 Prozent der Stimmen. Doch gegen das Resultat gibt es Widerstand, auch garantiert es keine stabile Mehrheit im Abgeordnetenhaus.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der reichste Mann Georgiens lebt in einer modernen Villa aus Glas und Stahl. Sie steht an einem Hang in Tiflis, der Milliardär Bidsina Iwanischwili kann von dort über die Altstadt blicken. Iwanischwili lenkt seit vielen Jahren die politischen Geschicke Georgiens. Deswegen war es seine Villa, zu der die Protestierenden am Sonntagabend marschierten, nachdem sie zuerst vor dem Parlamentsgebäude in der Innenstadt gegen Wahlmanipulation demonstriert hatten.

Am Tag zuvor, am Samstag, haben die Georgier ein neues Parlament gewählt. Die Regierungspartei "Georgischer Traum" gewann dabei 48 Prozent der Stimmen, das zumindest ergab die Auszählung. Doch die Opposition möchte daran nicht glauben und fordert eine neue Abstimmung.

Die Oppositionsparteien sind sich in einer Sache einig

Der Wahlsieger "Georgischer Traum" ist die Partei, die Bidsina Iwanischwili vor acht Jahren gegründet hat. Beinahe genauso lange regiert sie in Georgien bereits. Seine Partei habe nun "zum dritten Mal in Folge gewonnen", sagte der Milliardär am Sonntag, der vor einigen Jahren selbst Premierminister war, inzwischen aber aus dem Hintergrund agiert. Der derzeitige Ministerpräsident Georgij Gacharia soll Regierungschef bleiben.

Ihm stehen nun mehr Unsicherheiten bevor, als er zugeben will. Selbst wenn die Opposition es nicht schaffen sollte, das Ergebnis anzufechten: 48 Prozent garantieren keine stabile Mehrheit im Parlament. In manchen Wahlkreisen, in denen die Mandate direkt vergeben werden, müssen die Kandidaten zudem in drei Wochen noch in die Stichwahl. Die Abstimmung am Samstag war die erste nach einem neuen Wahlrecht. Nur noch jedes fünfte der 150 Mandate wird nun direkt vergeben, alle anderen nach Verhältniswahlrecht. Außerdem brauchen Parteien nur noch ein Prozent der Stimmen, um ins Parlament einziehen zu dürfen. Insgesamt neun haben das geschafft, deutlich mehr als zuvor.

Die Oppositionsparteien waren sich in einem einig: Sie werfen "Georgischer Traum" Wahlbetrug vor und wollen das Ergebnis nicht akzeptieren. "Wir fordern neue Wahlen", sagte Nika Melia, der Chef der "Vereinten Nationalen Bewegung" (ENM), die mit 27 Prozent zweitstärkste Kraft wurde. Seine Partei drohte damit, das neue Parlament zu boykottieren und ihre Sitze dort einfach nicht zu besetzen. Die anderen Oppositionsparteien wollen sich laut Melia dem Boykott anschließen.

Auch hinter der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" steht ein mächtiger Mann, der von der Seitenlinie aus die Strippen zieht: Ex-Präsident Michail Saakaschwili rief die Opposition dazu auf, gemeinsam eine "Regierung der nationalen Einheit" zu bilden. Er selbst strebe dabei kein Amt an, sagte er nun. Saakaschwili lebt in der Ukraine, weil ihm in Georgien unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen wird und dort ein Haftbefehl auf ihn wartet. Seine Partei hatte ihn im Wahlkampf noch als künftigen Premierminister gehandelt. Doch Saakaschwili polarisiert in seiner Heimat so sehr, dass die Opposition ohne ihn vermutlich größere Chancen hat, erfolgreich zusammenzuarbeiten.

Zwei Millionen motivierte Wähler

Neue Wahlen seien Konsens in der Opposition, sagte auch der Parteichef von "Europäisches Georgien", Giga Bokeria. Seine Partei erhielt 3,8 Prozent der Stimmen, das macht sie zur drittstärksten Fraktion. Die Partei kündigte Proteste für kommendes Wochenende an. Der spontane Protest am Sonntag fiel mit einigen Hundert Teilnehmern noch klein aus. Mit den Massenprotesten in Belarus konnte man sie nicht vergleichen, auch wenn sich das manch Oppositioneller gewünscht hätte.

Auch die Wahlmanipulation fiel in Georgien offenbar nicht so massiv aus. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erklärten, dass die grundlegenden Freiheitsrechte eingehalten worden seien. Sie verwiesen jedoch auf Vorwürfe, dass Wähler unter Druck gesetzt wurden, Grenzen zwischen Regierungspartei und Staat zu verwischen drohten. Lokale Wahlbeobachter urteilten strenger, berichteten über Mehrfachabstimmungen und gefälschte Wahlzettel.

Der georgische Zweig von Transparency International fand bei etwa sieben Prozent der Abstimmungsprotokolle, dass die Anzahl der Stimmen nicht mit der der Unterschriften auf den Wählerlisten übereinstimmte. Sie forderte die Wahlkommission dazu auf, die Stimmen aus diesen Bezirken neu auszuzählen.

Die Wahlbeteiligung war mit gut 56 Prozent etwas größer als bei den letzten Wahlen 2016, trotz der Covid-Pandemie. "Es wurde praktisch die ganze Nacht darüber gesprochen, dass zwei Millionen Menschen gekommen waren", sagte Experte Gela Wassadse dem unabhängigen russischen TV-Sender Doschd. Zwei Millionen Stimmen seien viel für Georgien, das Land hat knapp vier Millionen Einwohner. Die Opposition müsse nun nur herausfinden, wie sie diese Stimmen für sich nützen könne.

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