Genozid an Armeniern:Der Kampf um ein Wort

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Bisher versuchte die Regierung, im Streit über den Völkermord an den Armeniern Rücksicht auf die Türkei zu nehmen. Dies könnte sich nun ändern.

Von Stefan Braun, Berlin

Eigentlich genießt Papst Franziskus in der Bundesregierung einen ausgezeichneten Ruf. Ein Kämpfer für den Frieden sei er, dazu ein Streiter für soziale Gerechtigkeit, und das auch noch mit leidenschaftlichen Auftritten. Bei den Allermeisten in Berlin kommt das außerordentlich gut an. Obwohl man seine Rufe nach einer sozialeren Politik auch als Kritik an Berlin verstehen kann, gilt Papst Franziskus als großer Helfer im Ringen um eine friedlichere, gerechtere Welt.

Die Motive sind verschieden: Den einen geht es um die Armenier, die anderen bekämpfen die Türkei

Ausgerechnet dieser Papst hat der Regierung jetzt ein großes Problem vor die Haustür gelegt. Sein Plädoyer, den Völkermord an den Armeniern, begangen vor 100 Jahren, endlich als Völkermord zu bezeichnen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in eine für unmöglich gehaltene Bredouille gebracht: Es könnte zum entscheidenden Impuls für eine Niederlage im eigenen Lager werden. Wenn nicht alle Sinne täuschen, dann sind viele Abgeordnete der Union und der SPD fest entschlossen, den Kurs ihrer Führung in der Armenienfrage nicht mehr mitzutragen. Am Freitag dieser Woche wird der Bundestag über einen Entschließungsantrag zu den Gräueltaten beraten. Und namhafte Christ- wie Sozialdemokraten lehnen es öffentlich ab, den Begriff Völkermord länger auszublenden. Sozialdemokraten wie Dietmar Nietan, weil sie Gerechtigkeit für Armenien einfordern, konservative Christdemokraten, weil sie der Türkei kritisch gegenüberstehen.

Immer im April demonstrieren Armenier für die Anerkennung ihres vor 100 Jahren erlittenen Leids (hier 2013 in Athen). (Foto: Yannis Behrakis/Reuters)

Nun wären diese kritischen Geister schon unangenehm genug. Doch noch problematischer ist für die Regierung die Lage, seit klar ist, dass am Vorabend der Abstimmung auch noch Bundespräsident Joachim Gauck zum Thema auftritt. Eingeladen von den christlichen Kirchen, die mit der armenischen Kirche an den Genozid erinnern wollen, wird Gauck, wie man ihn kennt, das Wort Völkermord kaum aussparen. Es findet sich nicht nur im Titel der Veranstaltung. Gaucks gesamte Amtszeit durchziehen Auftritte und Äußerungen, in denen er einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte anmahnt. Gerade dann, wenn es darum geht, sich anschließend eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Er wird es vermutlich nicht mit erhobenem Zeigefinger tun. Eher dürfte einer wie er daran erinnern, dass das Deutsche Reich damals absichtlich wegschaute statt einzugreifen. Nun hat die absurde Vorstellung, dass Gauck am Donnerstag das Wort Genozid aussprechen und der Bundestag dem Wort womöglich ausweichen würde, das Auswärtige Amt zum Kurswechsel bewogen.

Bislang hatten die Diplomaten dafür plädiert, den ohnehin schwierigen Partner Türkei nicht zu stark zu kritisieren. Auf diese Weise sollten vor den anstehenden Parlamentswahlen in der Türkei im Juni nicht die Hardliner und Nationalisten in der türkischen Innenpolitik zusätzliche Munition erhalten. Nun aber hat sich Steinmeier entschieden, auf die Kritiker dieses Kurses zuzugehen. Steinmeier sagte der Süddeutschen Zeitung, die Berichte über die damalige Gewalt und Grausamkeit, über die Unbegreiflichkeit des Schreckens würden einem auch heute noch die Sprache verschlagen. Man könne das, was damals geschehen sei, "in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen, und ich kann die Gründe dafür und erst recht die Gefühle dazu gut verstehen". So verständlich das sei und so wichtig auch, müsse man aber wissen, dass das "nicht genug" sei. Er als Außenminister stehe in der Verantwortung und müsse auch daran denken, was nach dem 24. April, was "nach der Aufregung aus Anlass des 100. Jahrestages" geschehe. "Meine Sorge ist, dass eine immer aufgeladenere politische Debatte in Ankara und Eriwan das noch erschwert oder gar unmöglich macht, worauf es wirklich ankommt und was ich mir wünsche: ein Ende der Sprachlosigkeit und den Beginn eines aufrichtigen und ernsthaften Dialogs zwischen Türken und Armeniern".

Wie sehr die Stimmung aufgeladen ist, zeigte die Reaktion des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf die Worte des Papstes. Erdoğan hatte die Worte von Franziskus als "Unsinn" bezeichnet und ihn gewarnt, sie zu wiederholen. Steinmeiers erklärtes Verständnis für die Verwendung des Begriffs Völkermord soll nun offenkundig den Druck von den Abgeordneten nehmen. Wie der Antrag der Fraktionen aussehen wird, zeigt sich dennoch erst, wenn Anfang der Woche Führungsgremien und Fraktionen zusammenkommen.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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