Geiselnahme:Dramatischer Appell an die Entführer im Irak

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Außenminister Steinmeier fordert über den Fernsehsender al-Dschasira die Freilassung der deutschen Ingenieure. Bundespräsident Horst Köhler betet für ein glückliches Ende der Geiselnahme.

Annette Ramelsberger und Gregor Schiegl

Es muss ein höheres Maß an Verzweiflung gewesen sein, das den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland zu diesem außergewöhnlichen Schritt bewegte: Frank-Walter Steinmeier wandte sich am Freitag kurz vor Ablauf des Ultimatums persönlich über den arabischen Fernsehsender al-Dschasira an die Entführer der beiden deutschen Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke.

Ein Außenminister, der im arabischen Fernsehen mit Entführern spricht - das hat es bisher nicht gegeben. Nur die dramatische Situation, in der sich die Geiseln befinden, kann diesen Schritt erklären.

Auch drei Tage nach Veröffentlichung des letzten Videos der Entführer, in dem sie mit der Ermordung ihrer Gefangenen drohten, hatte die deutsche Regierung am Freitag immer noch keinen Kontakt zu den Tätern.

Selbst der öffentliche Appell der Mütter der Verschleppten löste keine Reaktion aus - wenn man von Trittbrettfahrern absieht, die sich in solchen Fällen immer wichtig machen. In so einer Situation werten es die Verantwortlichen schon als beruhigendes Zeichen, dass weitere Drohungen ausblieben. So düster ist die Lage.

Ernster als jeder andere Fall

Also trat Steinmeier selbst vor die Kameras: Er forderte - auch im Namen der Bundeskanzlerin - die Geiselnehmer auf, schnellstmöglich Kontakt mit den deutschen Behörden aufzunehmen. Und auch andere Würdenträger des Staates appellierten an die Entführer.

Bundespräsident Horst Köhler sagte, er bete für ein glückliches Ende der Geiselnahme. Er sei in großer Sorge. Offenbar hat sich die Regierung nun zur Kehrtwendung in ihrer Kommunikationspolitik entschlossen. Noch am Donnerstag wollte man alles vermeiden, was die Position der Entführer gestärkt hätte, vor allem öffentliche Erklärungen.

Jetzt war der Regierung diese Überlegung offenbar egal. Es ging nur noch darum, das Leben der beiden Deutschen zu retten. "Eine sehr ernste und schwierige Situation" sei da im Irak entstanden, sagte Regierungssprecher Thomas Steg. Und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber urteilte nach der Unterrichtung durch Kanzlerin Angela Merkel, diese Geiselnahme sei "ernster als jeder andere Fall".

Am Donnerstagabend noch hatte es so etwas wie Gegrummel gegeben an der Nikolaikirche in Leipzig, dort, wo sich die Freunde der Entführten zu einer Mahnwache versammelt hatten.

Alexander Bierfreund vom Sportverein Grün-Weiß Miltiz hielt ein Plakat hoch. "Wir sind bei Euch", stand darauf und es sollte den Geiseln im Irak zeigen, dass ihre Freunde sie nicht im Stich lassen. "Wir als Kleine können nicht viel machen", sagte Bierfreund, der jahrelang mit René Bräunlich Fußball gespielt hatte. Da müsse die Politik ran.

"Wir wollen unserer Wut, unserer Empörung Ausdruck verleihen", brach es aus dem Ehepaar Richter heraus. Die Richters leben im Westen von Leipzig, einer der Entführten wohnt nur zwei Kilometer entfernt. Man müsse doch zu den Leuten stehen, meint Frau Richter. Und ihr Mann fügt hinzu: "Je mehr Öffentlichkeit es gibt, desto klarer wird auch im Irak, dass es so nicht geht."

Beten und Kerzen anzünden

Die 16-jährige Susanne aus dem Stadtteil Grünau ist dagegen skeptisch. "Ich glaube, dass unsere Mahnwache im Irak wenig bewegt." Sie ist trotzdem mit ihren Freundinnen gekommen, um sich solidarisch mit den Entführten zu zeigen.

Dabei warnen manche Sicherheitsexperten, dass öffentliche Apelle die Entführer dazu ermutigen könnte, ihre Forderung noch höher zu schrauben. "Da könnte was dran sein", meint Susanne. Aber andererseits müsse man doch "irgendwas" tun. Und sei es nur zu schweigen, zu beten und Kerzen anzuzünden.

Sie ist nicht die Einzige am Platz vor der Kirche, die vermutet, die zurückhaltende Berichterstattung über die Entführung von René Bräunlich und Thomas Nitzschke könne etwas damit zu tun haben, dass die Ingenieure aus Leipzig kommen - "wegen Ossi und so".

Der Chef der Firma Cryotec, Peter Bienert, der die beiden Ingenieure in den Irak geschickt hatte und dafür heftig angegriffen wurde, sagte, er kenne die Araber als ehrenhafte Menschen. "Ich hoffe, dass sie die Videobotschaft der Mütter erreicht."

Die beiden Frauen hatten sich am Donnerstag in bewegenden Worten und den Tränen nahe über al-Dschasira an die Entführer gewandt. "Vielleicht können wir als Muslime noch mehr bewirken", sagte der Sprecher der Vereinigung Arabischer Studenten an der Uni Leipzig, Assem Hefny.

© SZ vom 4.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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