Geheimdienste:Was für eine Leistung

Lesezeit: 3 min

Polizei-Absperrband mit der Aufschrift "Lebensgefahr" nach der Absage des Länderspiels in Hannover (Foto: dpa)

Kaum einer weiß, ob dank der Geheimdienste in Hannover ein Attentat verhindert wurde. Um Terror zu verhindert, sollte man an anderer Stelle anzusetzen.

Kommentar von Hans Leyendecker

Konzerne, Behörden oder auch Redaktionen sind Biotope mit eigenen Regeln, die Außenstehende nicht auf Anhieb durchblicken. Doch die Geheimdienste bilden von allen speziellen Lebensräumen einen der speziellsten.

Die Leistung der Dienste lässt sich rational schon deshalb kaum messen, weil die Geheimniskrämerei Teil ihres Wesens ist. Erbringen sie diese Leistung nach Meinung von Außenstehenden nicht, münzen sie einen solchen Fehlschlag stets um: in die Forderung nach mehr Leuten, mehr Geld, mehr Kompetenzen. Denn immer hat irgendjemand anders eine Warnung nicht beherzigt. Oder man hat zumindest noch Schlimmeres verhindert, worüber man aber leider nicht reden darf, weil es ja geheim ist. Sofern sich dann doch eines Tages Kommissionen oder Untersuchungsausschüsse mit den angeblichen Erfolgen beschäftigen, stellen sie meist fest, dass die allenfalls Bonsai-Format hatten. Ob und was die Dienste diese Woche in Hannover tatsächlich verhindert haben, lässt sich derzeit kaum seriös würdigen. Also: Es ist nicht einfach, ihnen gerecht zu werden.

Das gilt auch für die französischen Dienste. Denen fehlt es ganz gewiss weder an Leuten noch an Geld, noch an den für ihre Arbeit angeblich notwendigen Gesetzen - und doch sind sie wieder einmal von Anschlägen überrascht worden. Dabei waren die allermeisten der Attentäter von Paris den Behörden bekannt gewesen; der mutmaßliche Drahtzieher war sogar eine Berühmtheit in seinen Kreisen. Die Dienste kannten genau die engen Verbindungen radikaler Islamisten nach Belgien. Sie wussten von deren Reisen zwischen Syrien und Europa.

Und die Vorratsdatenspeicherung, die angeblich eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen den Terrorismus sein soll, gehört in Frankreich zum Werkzeugkasten der Sicherheitsapparate. Schon bei Charlie Hebdo standen die Namen der Täter zuvor auf gespeicherten Listen. Die überraschten französischen Geheimdienste werden schon auffällig oft überrascht.

Kaum einer weiß, ob in Hannover ein Attentat verhindert wurde

Wenn etwas so Grauenvolles passiert ist wie am Freitag in Paris, gibt es nicht selten Dienste, die danach durchsickern lassen, sie hätten ja gewarnt und seien ignoriert worden. So macht es gerade der türkische Geheimdienst MIT, auf den man sich aber auch nicht unbedingt verlassen sollte. Hatte er denn im Oktober das IS-Massaker von Ankara verhindern können, mit 102 Toten?

Natürlich stehen nun Forderungen nach einer engeren Zusammenarbeit der Nachrichtendienste auf den Sprechzetteln von Politikern. Mehr austauschen, mehr teilen. Klingt gut. Es gibt die Angst, die Angst und nochmals die Angst. Also bloß keinen Fehler machen.

Wenn im Zusammenhang mit der Absage des Länderspiels nun die Rede davon ist, französische und amerikanische Dienste hätten die "Pläne" irgendwelcher Terroristen ihren deutschen Kollegen mitgeteilt, so ist dies ein Irrtum. Das waren keine Pläne von Terroristen, sondern Tipps, Hinweise von Nachrichtendiensten, die in der Eile kaum überprüft werden konnten. In den allermeisten Fällen sind solche Tipps falsch. Das übliche Geraune.

Die Schlussfolgerung niedersächsischer Politiker, vielleicht hätten es sich die Terroristen angesichts der Wachsamkeit und der Präsenz der Sicherheitskräfte in Hannover anders überlegt, ist übrigens ein Klassiker aus dem Erfolgsrepertoire der Dienste. Nach dem Motto: Unsere Warnung war nicht übereilt. Der Feind hat nur reagiert.

Die angeblich dringend notwendige Aufrüstung der Dienste

Es gilt nun, die Balance zu finden zwischen notwendigen Sicherheitsvorkehrungen und Gelassenheit. Zwar ist Sicherheit ein Grundbedürfnis der Menschen, aber das Streben nach totaler Sicherheit würde bedeuten, viel Freiheit zu verlieren. Auch eine Form von Terror. In all den Betrachtungen über die angeblich dringend notwendige Aufrüstung der Dienste wird gern so getan, als sei der islamistische Terrorismus mit der Form seiner Angriffe einzig in der Menschheitsgeschichte. Das ist er nicht. Schreckensmänner gab es immer schon. Im Jahr 1892 wurden in Amerika 500 und in Europa mehr als 1000 Sprengstoff-Attentate registriert. Die Angreifer wüteten gegen Staatsoberhäupter und Minister; aber auch in Theatern, Restaurants, Klubs und Börsensälen explodierten Bomben.

Das Einzigartige an den islamistischen Terroristen ist: Sie sind so viele. Aber es wäre schlauer, viel mehr als bisher für die Prävention zu tun - sich also um junge Menschen zu kümmern, bevor sie an die Anwerber des IS geraten. Es kann ja wohl kaum die Lösung sein, dass 30 Beamte einen der sogenannten Gefährder rund um die Uhr überwachen müssen.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Thomas de Maizière
:Warum sagt er das?

"Ein Teil dieser Antworten könnte die Bevölkerung verunsichern" - für diesen Satz überschüttet das Netz den Innenminister mit eimerweise Häme. Dabei hat er es nur gut gemeint.

Von Paul Munzinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: