Geheimdienst:Maulwurf "Paul" im Herzen des Feindes

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Bodo V. Hechelhammer blättert ein spezielles - und beinahe bizarres - Kapitel des Krimis um den BND-Doppelagenten Heinz Felfe auf. Auf einer Reise in die USA bemühte sich der Sowjetspion mit allen Mitteln, nicht enttarnt zu werden.

Von Norbert F. Pötzl

Es war die größte Schmach in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes: Am 6. November 1961 wurde Heinz Felfe, der Leiter des BND-Referats Gegenspionage Sowjetunion, als KGB-Maulwurf verhaftet. Er hatte, wie die Ermittlungen ergaben, 15 000 geheime Dokumente in den Osten geschafft, die gesamte Logistik und das Spionagenetz des BND in Bezug auf die Sowjetunion verraten. 94 BND-Agenten wurden enttarnt, der BND musste seinen gesamten Aufklärungsdienst neu organisieren.

Der Doppelagent Felfe hätte indes schon Jahre früher entlarvt werden können. Eine USA-Reise, an der er im September 1956 auf Einladung der CIA mit einer achtköpfigen BND-Delegation teilnahm, spielte dabei eine bedeutsame Rolle. Bodo V. Hechelhammer, der Chefhistoriker des BND, rekonstruiert nun aus amerikanischen sowie west- und ostdeutschen Geheimdienstakten, privaten Briefen und Tagebuchnotizen sowie einer Vielzahl von Fotos der Reiseteilnehmer die bis heute weitgehend unbeachtete USA-Visite der BND-Mitarbeiter sowie die Verdachtsmomente, die frühzeitig gegen Felfe aufkamen. Der Leser erlebt mit, wie ein sowjetischer Spion, ohne Argwohn zu erregen, einen gegnerischen Dienst ausspäht. Erst im Rückblick wird klar, wie nah Felfe seiner Enttarnung war. Die Fülle seines Materials verleitet Hechelhammer bisweilen allerdings auch dazu, ziemlich nebensächliche Einzelheiten auszubreiten.

Der 1918 in Dresden geborene Felfe, ehemals Sturmführer im Sicherheitsdienst der SS, hatte sich nach dem Krieg vom britischen Geheimdienst MI 6 als Vertrauensmann anwerben lassen. Ein früherer SD-Kamerad, Hans Clemens, führte ihn im September 1951 dem KGB zu. Auf dessen Geheiß trat Felfe zwei Monate später in die "Organisation Gehlen", den Vorläufer des BND, ein. Mithilfe seiner sowjetischen Auftraggeber, die ihn gezielt mit Informationen als "Spielmaterial" versorgten, gewann Felfe das Vertrauen des Geheimdienstchefs Reinhard Gehlen und machte rasch Karriere. Zwar fiel Felfes Kollegen auf, dass dessen nachrichtendienstliche Operationen allzu reibungslos verliefen und sein Lebensstil nicht seinem Einkommen entsprach. Aber Gehlen, geblendet von den scheinbaren Erfolgen, hielt seine schützende Hand über ihn.

1956 lud die CIA deutsche Agenten nach Washington ein. Mit dabei: Moskaus Spitzel Felfe

Seit 1951 lud die CIA Mitarbeiter der Organisation Gehlen, die sie als ihre westdeutsche Filiale betrachtete, zu Studienzwecken in die USA ein. Die Reise im September 1956 war die siebte, aber die erste nach der Gründung des seit April 1956 selbständigen BND. Die Teilnehmer waren handverlesen. Gerade von Felfe erwartete die CIA, dass er künftig zum Schlüsselpersonal des deutschen Auslandsgeheimdiensts gehören würde. Er habe sich, notierte die CIA in ihrer Felfe-Akte, "dafür entschieden, die kommunistischen Ideologien und Praktiken im Rahmen seiner Möglichkeiten zu bekämpfen".

Felfe fieberte dem USA-Aufenthalt entgegen. Auffällig suchte er im März 1956 in Erfahrung zu bringen, was in amerikanischen Akten über ihn stand. "Vielleicht sorgte er sich, dass er von einer erfreulichen Reise ausgeschlossen würde", vermutete die CIA. Tatsächlich fürchtete Felfe, dass die CIA negative Informationen über ihn haben könnte.

Offenbar um seine Teilnahme nicht zu gefährden, wagte Felfe eineinhalb Jahre lang keinen persönlichen Treff mit seinem KGB-Verbindungsoffizier. Nach einer Begegnung im Frühjahr 1955 in Österreich kam es erst im November 1956, zwei Monate nach Abschluss der USA-Reise, wieder zu einem Treffen, diesmal in Ost-Berlin.

Im CIA-Hauptquartier, das sich damals mitten in Washington befand, führten die westdeutschen Geheimdienstler vier Tage lang jeweils von 10 bis 18 Uhr ausgiebige Fachgespräche. Der KGB-Spion Felfe erfuhr so aus erster Hand den Organisationsaufbau und lernte die Arbeitsmethoden der CIA kennen. In seinem Taschenkalender notierte er sorgsam alle Namen und Zuständigkeiten der amerikanischen Gesprächspartner. Aus einem CIA-Schadensbericht ging später hervor, dass Felfe rund 100 CIA-Mitarbeiter an den KGB verraten hatte, unter ihnen 21 mit Klarnamen, die er bei der USA-Reise kennengelernt hatte.

Beinahe wäre Felfe bereits damals aufgeflogen. Bei einem Abstecher zum FBI wollten die amerikanischen Kriminalisten ausgerechnet an ihm die Funktionsweise des Lügendetektors demonstrieren. Felfe wehrte sich vehement und konnte sich der Gefahr einer möglichen Enttarnung mit knapper Not entziehen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland interessierte er sich auffällig für die Wirkungsweise des Apparats, bat amerikanische Bekannte um Fachbücher und setzte sich bei Gehlen sogar für eine operative Verwendung des Lügendetektors im BND ein. Ironischerweise führte schließlich der Verratsfall Felfe selbst dazu, dass der deutsche Auslandsnachrichtendienst einige Jahre lang Mitarbeiter einem Lügendetektortest unterzog.

Nach dem offiziellen Programm in Washington durften fünf Mitglieder der BND-Delegation, unter ihnen Felfe, eine touristische Rundreise durch die USA unternehmen. Etwas zu detailverliebt schildert Hechelhammer alle Stationen der Sightseeingtour von der Ost- an die Westküste und zurück.

Auf die Schiffspassage zurück nach Europa, die seine Kollegen genossen, musste Felfe verzichten, weil er an einer Gesichtsallergie erkrankte; er reiste deshalb mit dem Flugzeug. In den USA mochte er keinen Arzt konsultieren. Zu groß war seine Sorge, dass er etwa unter Medikamenteneinfluss seinen sowjetischen Spionageauftrag verraten könnte. Das war keine Paranoia; vielmehr hatte ihn sein KGB-Agentenführer wenige Monate zuvor angewiesen, aus eben diesem Grund eine Mandeloperation ohne Narkose vornehmen zu lassen. Die Symptome der Nesselsucht, die bei Felfe auftraten, erklärt Hechelhammer mit dessen "erhöhter psychischer Belastung", verstärkt durch die ungewohnte Hitze in Amerika.

14 Jahre Zuchthaus lautete das Urteil; 1969 durfte der Ex-Agent in die DDR ausreisen

Der Delegationsleiter Kurt Kohler, Sicherheitschef des BND, fertigte für Präsident Gehlen einen zwölfseitigen Bericht über den Aufenthalt in Washington, über die Gesprächspartner und vor allem über den Inhalt der Fachgespräche. Nach Kohlers Erinnerung hat Felfe nie sonderlich Interesse an dem Bericht gezeigt. Dennoch fand man nach Felfes Verhaftung eine Kopie eben dieses Berichts sowie Felfes eigene Notizen über die CIA-Vorträge in seinem Panzerschrank.

Schon 1954 hatte ein sowjetischer Überläufer der CIA den Hinweis gegeben, dass in der Organisation Gehlen zwei Spione mit den Decknamen "Peter" und "Paul" tätig seien. Im März 1959 erfuhr die CIA durch einen polnischen Doppelagenten, dass sich nach einer Äußerung des KGB-Spionageabwehrchefs in der Reisegruppe sogar zwei sowjetische Spione befunden hätten. Es dauerte jedoch noch zweieinhalb Jahre, bis Felfe überführt werden konnte.

Felfe war "Paul" - aber wer war "Peter"? Darüber wird seither gerätselt. Felfes Kollege Clemens, der einst die Verbindung zum KGB hergestellt hatte und nun mit ihm verhaftet wurde, kann nicht gemeint gewesen sein, denn er hatte an der USA-Reise nicht teilgenommen. Untersuchungen gegen Felfes Reisegefährten verliefen ergebnislos, soweit sie überhaupt eingeleitet wurden. Der BND, folgert Hechelhammer, "wollte offenbar nicht ohne Not noch einen weiteren mutmaßlichen KGB-Spion in seinen Reihen aufspüren müssen".

Der Bundesgerichtshof verurteilte Felfe im Juli 1963 wegen schweren Landesverrats zu 14 Jahren Zuchthaus. Nach langwierigen Verhandlungen, in deren Verlauf die DDR mit einem Abbruch des Häftlingsfreikaufs, der Familienzusammenführungen und des Agentenaustauschs drohte, kam Felfe im Februar 1969 im Gegenzug für 21 politische Häftlinge in der DDR frei. Der ehemalige Doppelagent studierte und promovierte an der Ost-Berliner Humboldt-Universität und wurde dort zum Kriminalistik-Professor berufen. Er starb 2008 kurz nach seinem 90. Geburtstag. Eine Biografie Hechelhammers über Felfe soll im nächsten Jahr zu dessen 100. Geburtstag erscheinen.

Norbert F. Pötzl ist Journalist und hat in zwei Büchern über den DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel auch dessen Austauschverhandlungen im Fall Felfe geschildert. Mit Felfe hat er mehrere Gespräche geführt.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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