Gehaltsgefälle in den USA:Das Fußvolk will es wissen

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Viele Amerikaner stört die wachsende Ungleichheit im Land. Dass Konzerne nun die Lohnunterschiede im eigenen Haus veröffentlichen müssen, heizt die Debatte weiter an.

Von Claus Hulverscheidt

Man kann nicht sagen, dass es bei John Mackey zuletzt gut gelaufen wäre, im Gegenteil. Erst jüngst musste der Chef der US-Biosupermarktkette Whole Foods zerknirscht eingestehen, dass es seine Mitarbeiter beim Abwiegen frisch gefertigter Sandwiches, Müslis und Salate offenbar nicht so genau genommen hatten, und das schon zum wiederholten Male. Ob dahinter Schlamperei steckte oder die Idee, dass sich Amerikas "Organic"-versessene obere Mittelschicht noch ein wenig mehr auspressen lässt, blieb offen. Jedenfalls kostete die kleine Packung Kokosshrimps am Ende 14,84 Dollar.

Die jüngste Debatte über Ethik und Moral im US-Geschäftsleben hingegen wird Mackey nichts anhaben können: Von 2017 an, so hat es die Börsenaufsicht SEC jetzt entschieden, müssen alle großen und mittleren Aktiengesellschaften des Landes offenlegen, was der Vorstandschef im Vergleich zu einem mittleren Angestellten seines Betriebs verdient. Der Aufschrei der Wirtschaft kam prompt, was auch damit zu tun haben könnte, dass es Firmen gibt, in denen sich ein größtmögliches Gehaltsgefälle mit kleinstmöglichem wirtschaftlichen Erfolg paart. Anders Whole-Foods-Gründer Mackey: Er stellt seine Arbeitskraft seit Jahren für ein symbolisches Jahresgehalt von einem Dollar zur Verfügung.

Der Chef von J.C. Penny verdiente fast das 1800-Fache von einem seiner typischen Angestellten

Mit ihrem Beschluss setzt die SEC nach schier endloser Debatte einen Gesetzesauftrag aus dem Jahr 2010 um, der noch unter dem Eindruck der großen Bankenkrise entstanden war. Die davon galoppierenden Gehälter vieler Top-Manager - insbesondere in Form von Boni und Aktienoptionen - galten damals als eine der Krisenursachen, da sie die Konzernbosse zu teils waghalsigen, nur auf den kurzfristigen Profit zielenden Geschäften animiert hatten. Mit der Veröffentlichung einer Gehaltsquote, so der Gedanke, wären die Aktionäre der einzelnen Firmen zumindest in der Lage zu bewerten, ob "ihr" Vorstandschef im Branchenvergleich womöglich krass überbezahlt ist.

Arm in Amerika: eine Bedienung auf einem Treffen von Spitzenmanagern (l.) und Niedriglöhner, die für höhere Einkommen protestieren. (Foto: Getty Images/AFP)

Dass es solche "pay ratios" bisher offiziell nicht gibt, ist im statistikverliebten Amerika eigentlich ein Wunder. Was man sehr wohl findet, sind Zahlen dazu, was jeder einzelne Vorstandschef verdient und in welchem Verhältnis das Durchschnittsgehalt aller Bosse zum durchschnittlichen Lohn aller mittleren Angestellten steht. Demnach kam ein Firmenchef noch 1965 auf das zwanzigfache Salär eines gewöhnlichen Arbeitnehmers. Bis Mitte der 1990er-Jahre stieg die Quote nur geringfügig an, dann jedoch explodierte sie. Kurz vor der Jahrtausendwende, auf dem Höhepunkt der Internet-Blase, erreichte sie einen Wert von 376. Seither ging es auf hohem Niveau auf und ab. 2014 verdiente ein Unternehmenschef im Schnitt ziemlich genau 300-mal so viel wie ein Arbeitnehmer.

Was jedoch lange fehlte, waren Angaben darüber, wie es jenseits dieser gesamtwirtschaftlichen Werte in den einzelnen Betrieben aussah - bis sich die Nachrichtenagentur Bloomberg 2013 die Mühe machte, die Zahlen zusammenzutragen. Danach kam Ronald Johnson, der damalige Chef der Einzelhandelskette J.C. Penny, 2012 auf ein Gehalt von 53,3 Millionen Euro - fast exakt 1800-mal so viel wie seine Angestellten im Schnitt erhalten. Sein Kollege Michael Jeffries von der Bekleidungskette Abercrombie & Fitch brachte es als Nummer zwei auf eine Quote von 1640. Umgekehrt mussten sich die Chefs bekannter Namen wie Mastercard, IBM und Motorola mit dem 180-fachen Gehalt ihres gemeinen Fußvolks begnügen.

Selbst ein Drittel der Anhänger der Republikaner fordert Eingriffe des Staates

Die jetzt verfügte Offenlegung aller Gehaltsquoten spiegelt die Debatte über die Ungleichheit in Amerika wider, die seit Jahren schwelt, von Politikern der Mitte jedoch lange ignoriert wurde. Zu groß erschien die Gefahr, von konservativen Hardlinern als Neider und Sozialist an den Pranger gestellt zu werden. Doch der Wind dreht sich, wie jüngst eine Umfrage zeigte. Demnach sind sechs von zehn Bürgern der Ansicht, dass der Reichtum im Land ungerecht verteilt ist. Ebenso viele der traditionell oft staatskritischen Amerikaner fordern, dass die Regierung gegen den Missstand vorgeht. Selbst ein gutes Drittel der republikanisch gesinnten Wähler teilt diese Auffassung. Das hat die Präsidentschaftsbewerber ihrer Partei in die Bredouille gebracht und demokratische Konkurrenten wie Hillary Clinton dazu animiert, die Befangenheit abzulegen und das Thema in den Mittelpunkt ihrer Kampagne zu stellen. Jeder zweite Amerikaner ist zudem dafür, dass Spitzengehälter gesetzlich gedeckelt werden - eine Idee, die in den traditionell wirtschaftsliberalen USA bisher als Ketzertum galt. So weit würde wohl nicht einmal Clinton gehen.

Dass es so lange dauerte, bis die SEC jetzt zumindest die Offenlegung der Gehaltsquoten anordnete, ist dem Umstand geschuldet, dass die beiden republikanischen Vertreter im fünfköpfigen Behördenvorstand hartnäckig Widerstand leisteten. Entsprechend knapp war am Ende mit 3:2 das Abstimmungsergebnis. Während SEC-Chefin Mary Jo White die Regelung als ausgewogen lobte, erklärten ihre beiden republikanischen Kollegen, "Ideologen" hätten das Amt zu einer der "sinnlosesten Entscheidungen" seiner Geschichte gedrängt.

Damit ist der Ton für die weitere Debatte vorgegeben, die US-Handelskammer und andere Lobbygruppen haben bereits Klagen gegen die SEC angekündigt. Sie warnen vor einer Neiddebatte und sehen hohe Kosten auf die Firmen zukommen. Tatsächlich ist es vor allem für große, international tätige Unternehmen alles andere als trivial, innerhalb ihres Gehaltsgefüges den Median zu ermitteln. Anders als das Durchschnittsgehalt, bei dem einfach die gesamte Lohnsumme durch die Zahl der Mitarbeiter geteilt wird, muss beim Median jenes Gehalt ermittelt werden, das genau in der Mitte aller gezahlten Einzelgehälter liegt. Andererseits haben die Firmen einen gewissen Interpretationsspielraum, etwa bei der Einbeziehung von Mitarbeitern in Niedriglohnländern, was wiederum die Gewerkschaften ärgert.

Wie groß die Chancen der Kritiker sind, die Bekanntgabe der Quoten doch noch zu stoppen, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen: Ronald Johnson und Michael Jeffries, den "Pay-Ratio"-Königen von 2012, würde auch ein richterliches Veto nichts mehr nutzen. Beide mussten mittlerweile ihren Hut nehmen - wegen Erfolglosigkeit.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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