Friedensnobelpreis:Welt ohne Bombe

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Ist es zu idealistisch, in Zeiten von Trump, Kim und Putin die Abschaffung von Atomwaffen zu fordern? Das Komitee des Friedensnobelpreises hat darauf eine klare Antwort gegeben.

Von Stefan Ulrich

Die Auguren lagen fast richtig: Friedensforscher und Wetter tippten darauf, das Norwegische Nobelkomitee werde diesmal den Kampf gegen Atomwaffen würdigen. Allerdings vermuteten sie, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sowie Irans Außenminister Mohammed Jawad Zarif würden den Friedensnobelpreis erhalten - weil sie die Verhandlungen zum Atomdeal mit Iran organisiert hatten. Tatsächlich einigten sich die fünf Mitglieder des Komitees aber auf eine Organisation, die einen weiteren Ansatz verfolgt: Die Internationale Kampagne für ein Atomwaffenverbot (Ican) möchte alle der fast 15 000 Nuklearwaffen abschaffen. Ihr Ziel ist eine Welt ohne Bombe.

Die Nobel-Juroren wurden in den vergangenen Jahren oft gescholten, sie prämierten zu viele aktive Politiker, belohnten eher Absichten als Taten und überdehnten den Friedensbegriff, indem sie etwa Umweltaktivisten auszeichneten. Die Preisvergabe vom Freitag wirkt, als wollten sie darauf reagieren. Denn erstens verlieh das Komitee keinem Politiker den Nobelpreis, sondern einer globalen Kampagne, an der sich 200 Organisationen beteiligen. Zweitens ist Ican über die gute Absicht hinausgelangt. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmte im Juli eine klare Mehrheit von 122 Staaten für einen universellen Atomwaffenverbotsvertrag, auf den Ican lange hingearbeitet hat. Drittens geht es um ein Kernanliegen moderner Friedenspolitik - die Bewahrung der Welt vor einem Atomkrieg.

Peace: Beatrice Fihn, Direktorin der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, zeigt sich in Genf nach Bekanntgabe des Friedensnobelpreises. (Foto: Martial Trezzini/AP)

"Wir leben in einer Welt, in der das Risiko, dass Atomwaffen gebraucht werden, größer ist als seit langer Zeit", erklärt das Komitee. Wer würde dem widersprechen. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump bedrohen einander mit nuklearer Vernichtung. Und bei beiden kann sich die Welt nicht sicher sein, dass sie nur spielen wollen. Zugleich steht Trump kurz davor, das Atomabkommen mit Iran zu sabotieren, obwohl es Teheran derzeit daran hindert, die Bombe zu bauen. Dieser Friedensnobelpreis sei keine Kritik an einem konkreten Land, meint die Jury-Chefin Berit Reiss-Andersen. "Wir treten niemanden vors Schienbein." Ein Signal an Trump und Kim enthält die Entscheidung dennoch. Es lautet: Einem Atomkrieg entgeht man nicht durch Wüten und Drohen, sondern durch Verhandeln und Verträge.

Zugleich sagt Reiss-Andersen: "Wir senden Botschaften an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen." Damit stellt sich das Komitee, das den bedeutendsten politischen Preis vergibt, mit seiner moralischen Wucht hinter den Atomwaffensperrvertrag von 1970, dem nahezu alle Staaten der Welt angehören. Er verpflichtet die Länder, die noch keine Nuklearwaffen haben, auch künftig keine zu erwerben. Zugleich bestimmt er, dass die offiziellen Atommächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich einen "Vertrag zur allgemeinen und vollständigen (nuklearen) Abrüstung" aushandeln. Davon kann derzeit keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Atomwaffenstaaten, allen voran die USA und dann Russland, investieren gerade gigantische Summen, um ihre nuklearen Arsenale zu modernisieren.

Das prangert der Friedensnobelpreis 2017 an. Er müsste auch der deutschen Bundesregierung zu denken geben, die sich gemeinsam mit den Nuklearstaaten gegen den neuen Atomwaffenverbotsvertrag stellt, den Ican vorantreibt.

Nun mag man, um ein Bonmot Stalins zu variieren, fragen: "Wie viele Divisionen hat das Nobelkomitee?" Doch damit unterschätzt man die Wirkung, die dieser Preis haben kann. Je chaotischer die Welt ist, desto mehr sehnt sie sich nach moralischer Orientierung, nach Frauen und Männern, die das Gute verkörpern und als Vorbild in die Welt hineinwirken.

In seinen besten Stunden hat das Komitee solche Preisträger gefunden. 1935 etwa den von den Nazis inhaftierten Carl von Ossietzky; 1993 Südafrikas Freiheitsheld Nelson Mandela; 2003 die iranische Vorkämpferin für Frauen- und Kinderrechte, Shirin Ebadi. Andere Würdigungen waren hoch umstritten. So sagte der US-Songwriter Tom Lehrer: "Als (der damalige Außenminister) Henry Kissinger den Friedensnobelpreis erhielt, wurde politische Satire überflüssig." Auch der Preis für Aung San Suu Kyi im Jahr 1991 wird inzwischen kritisch gesehen, weil sich die heutige faktische Regierungschefin Myanmars nicht klar gegen die Verfolgung der muslimischen Rohingyas einsetzt.

Mit dem diesjährigen Preisträger dürfte das Komitee keine Probleme bekommen. Die Kampagne für ein Atomwaffenverbot passt zum Geist des Preises. Dessen Stifter, der Schwede Alfred Nobel, hatte 1866 das Dynamit erfunden. Eine Zeitung nannte ihn deshalb "Kaufmann des Todes". Mit den Nobelpreisen wollte er diesen Ruf korrigieren. Die Auszeichnung von Ican wäre in seinem Sinne. Denn Atomwaffen sind der furchtbarste Sprengstoff der heutigen Zeit.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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