Friedens-Versammlung in Afghanistan:Alte Weisheiten im Bierzelt

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Afghanistans Präsident Karsai versucht, einen Dialog mit den Taliban zu organisieren - ohne die Taliban.

Stefan Kornelius

Würde sich das afghanische Schicksal in Konferenzen entscheiden, das Land wäre eine, na ja, beinahe funktionierende Westminster-Demokratie. Wann immer sich die internationale Aufmerksamkeit dem Puffer-Staat Afghanistan zuneigte, begannen und endeten die Bemühungen mit Konferenzen. Das Bedürfnis der demokratischen Welt, die Probleme dieser Splitter-Nation zu lösen, vertrug sich sogar ganz gut mit den afghanischen Methoden - auf den ersten Blick zumindest. Demokratie-Theoretiker schwärmen von der großen Stammes- und Ältesten-Versammlung, der Loya Dschirga. Die Alten und Weisen versammeln sich und palavern so lange, bis eine Lösung gefunden ist.

Die Friedens-Dschirga: Würde sich das afghanische Schicksal in Konferenzen entscheiden, das Land wäre eine beinahe funktionierende Westminster-Demokratie. (Foto: dpa)

Natürlich wird Afghanistan einer Westminster-Demokratie nicht ähnlicher werden, auch nicht wenn die gerade tagende Loya Dschirga beendet sein wird. Frieden wird diese Friedens- Dschirga nicht bringen, aber sie lässt ein paar Schlüsse zu über die tatsächliche Macht des Präsidenten.

Hamid Karsai bezweckt dreierlei mit der Konferenz: Er konsolidiert seine Position, die seit der gefälschten Wahl vom letzten Sommer nicht gefestigt ist. Die Dschirga wird ihn in den Augen vieler Afghanen in den Verhandlungen mit den Taliban stärken. Zweitens unterstreicht er, dass Afghanistans Schicksal Sache der Afghanen ist und nicht der Ausländer. Drittens bringt er ein wichtiges Element afghanischer Politik zurück: Die Dschirga ist ein traditioneller Prozess in der afghanischen Entscheidungsfindung.

Insofern wäre die Friedens-Versammlung keine schlechte Sache, wenn nicht die wichtigste Voraussetzung für einen Friedensschluss fehlte: die Anwesenheit des Feindes. Die Taliban wurden nicht wirklich eingeladen, und sie haben außerdem ihre Gegnerschaft zur Dschirga mit Raketen und Sprengsätzen deutlich gemacht. Überhaupt fühlt sich die Gruppierung stark genug, dass sie einer Verhandlungslösung aus dem Weg gehen kann und - so sie schon den Krieg nicht gewinnt - auf günstigere Tage hofft.

Bisher scheitert jeder Versuch, sich den Taliban politisch zu nähern. Das liegt vor allem am totalitären Anspruch des radikalen Kerns der Taliban, die in Afghanistan immer noch das Zentrum eines Kalifats errichten wollen, eines panislamischen Gottesstaates. Diesen Islamismus bekämpft der Westen politisch und militärisch, weil er sich als potentielles Opfer des Totalitarismus sieht. Die Mehrheit der Afghanen fürchtet diese Radikalität nicht minder, allerdings sieht sie auch in der Präsenz der ausländischen Truppen keine Schutzgarantie mehr.

Wer einen Ausweg aus dem Dilemma zu kennen vorgibt, der lügt. Es bleibt die bittere Wahl: Wer abzieht, räumt das Terrain für die Re-Radikalisierung Afghanistans. Wer bleibt, der steht als Ausländer einer afghanischen Lösung im Weg. Denn eines ist sicher: Afghanistan wird nur sich selbst den Frieden bringen können. Von außen ist diesem Land noch nie etwas Bleibendes aufgenötigt worden.

Frieden auf afghanisch bedeutet eine auf Zeit geborgte Stabilität. Sie wird entweder durch die Herrschaft eines starken und glaubwürdigen Potentaten garantiert, oder durch die Balance der wichtigsten Machtzentren. Karsai versucht sich in diesem Balance-Akt. Er bindet möglichst viele, auch zweifelhafte Figuren in seinen Herrschaftsbereich ein. Und er macht den Afghanen klar, dass er ihr Mann und nicht die Figur des Westens ist. Ob er mit dieser Strategie überzeugt, ist fraglich: Der Geburtsmakel - eingesetzt durch die Gnade des Westens - haftet am Präsidenten.

Hamid Karsai zeigt gerade seine Freunde vor. Sie sitzen in Kabul in einem ausrangierten Bierzelt aus Deutschland und sollen dem Land und seinen ausländischen Bewachern sagen: Wir werden einen afghanischen Weg wählen hin zu mehr Frieden. Oder eben auch wieder zu einem Krieg. Eine wirklich mächtige Demonstration ist das nicht.

© SZ vom 04.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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