Frankreich:Von System und Volk

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(Foto: N/A)

In Frankreich übernehmen Politiker wie Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen die Phrasen des US-Wahlsiegers und deuten den Ausgang der Abstimmung als Bestätigung ihrer Positionen.

Von Christian Wernicke, Paris

Bis tief in die Nacht des 8. November hatten Frankreichs Politiker beinahe unisono ihre Abscheu bekundet über Donald Trump. Nase zu und Abstand halten. Nun aber, da das amerikanische Volk "The Donald" zum künftigen Präsidenten der Supermacht geadelt hat, positioniert sich die Pariser politische Klasse neu. Von Trump lernen, so lautet die neue Parole, heißt Siegen lernen. Im Frühjahr küren schließlich auch die Franzosen ihren neuen Präsidenten. Also beteuern alle Aspiranten, Trumps Triumph bestätige ihre bisherige Strategie. Und mancher gibt der Versuchung nach, Trumps vermeintlicher Erfolgsspur zu folgen.

Nicolas Sarkozy etwa, Frankreichs konservativer Ex-Präsident, möchte das amerikanische Ergebnis vor allem als Protestvotum gegen wohlfeiles "Einheitsdenken" und die "political correctness" deuten, die allen voran liberale und linke Medien seinen Landsleuten verordnet hätten. Der französische Republikaner, der noch in diesem Monat per Vorwahl die Spitzenkandidatur seiner Partei erobern will, hatte sich bereits vor Wochen zum Sprecher "der schweigenden Mehrheit" ernannt. Nun, nach Trumps Sieg, warnt er, die Amerikaner hätten sich gegen eine Politik gewehrt, "die das Verlangen der Völker nach einer Steuerung der Immigration und Respekt für die Grenzen" ignoriere. Schon vor Monaten hatte Sarkozy unter Vertrauten verkündet, ein Sieg Trumps im November könne ihm Auftrieb geben. Sarkozy liegt in allen Umfragen zurück, auch deshalb saugt er aus Trumps Überraschungs-Coup neue Hoffnung. Den Vorwurf aus dem Lager seines gemäßigten Konkurrenten Alain Juppé, Sarkozy "trumpisiere" seinen Kurs zunehmend, kontert der Gescholtene mit dem Hinweis, da attackiere ihn nur "das System" der tradierten Politik.

Gegen "das System", gegen "Eliten" und "Oligarchie" hatten bisher nur der Front National (FN) und Marine Le Pen, die Parteichefin, gewettert. Die FN-Vorsitzende kann für sich in Anspruch nehmen, sich schon Monate vor der Wahl gegen Hillary Clinton und für Trump ausgesprochen zu haben: "Die Amerikaner haben sich einen Präsidenten ihrer Wahl geschenkt - und nicht den, den ihnen das herrschende System aufzwingen wollte," interpretierte die Rechtspopulistin das Ergebnis. Genau das, so die implizite Botschaft, werde sie am 7. Mai - dem Tag der Stichwahl um den Élyséepalast - auch vollbringen.

Das sieht nicht nur Le Pen so. "Die wichtigste Lehre für uns", so ließ Jean-Pierre Raffarin aufhorchen, Ex-Premierminister und ein Vertrauter von Alain Juppé, "ist, dass Marine Le Pen in Frankreich gewinnen kann." Juppé selbst warnte - im Einklang mit Präsident François Hollande - "vor den Gefahren der Demagogie und des Extremismus". Der Bürgermeister von Bordeaux zielte damit auf Le Pen. Aber anonym streuten die Vertrauten des moderaten Kandidaten, dass auch Sarkozy gemeint sei, der seit Wochen verkünde, alle Franzosen stammten von den Galliern ab.

Juppé muss aufpassen, dass ihm seine Landsleute nun nicht mit Hillary Clinton vergleichen, Amerikas Verliererin. Wie die US-Demokratin betreibt der französische Republikaner seit mehr als vier Jahrzehnten die Politik als Beruf. "Er ist viel populärer als Clinton, und das stabil seit zwei Jahren", beteuert ein Kampagnenmanager Juppés. Sarkozys Versuch, sich nun im Fahrwasser des Donald Trump als ein Kandidat des einfachen Volkes im Kampf gegen die bösen Eliten anzudienen, sei ohnehin unglaubwürdig. "Man kann nicht seit Jahrzehnten Politik machen und fünf Jahre im Élysée gelebt haben, um dann den Mann gegen das System zu spielen", schimpft der republikanische Abgeordnete Benoist Apparu, ein Juppé-Vertrauter.

Versuche, irgendwie aus dem US-Ergebnis Honig zu saugen, unternimmt auch die französische Linke. Trumps Erfolg, so mahnt Jean-Christophe Cambadélis, Parteisekretär der regierenden Sozialisten, müsse die zutiefst zerstrittenen Grünen, Rosa-Roten und Tiefroten endlich zur Raison bringen. Cambadélis arbeitet daran, das Terrain zu bereiten für eine erneute Kandidatur des glücklosen Hollande (oder, falls der nicht wieder antritt, für dessen Premier Manuel Valls). Wenn man getrennt marschiere, so Cambadélis, werde man nur gemeinsam verlieren: "Falls die Linke weitermacht mit ihren unverantwortlichen Kindereien, wird's Le Pen!"

Die Grünen wie auch der Linksfrontler Jean-Luc Mélenchon wiesen die sozialistische Deutung der US-Wahl zurück. Schuld an der Niederlage seien die Demokraten selbst, ließ Mélenchon wissen. Hätten die nämlich statt Clinton einen wahren Linken (merke: wie ihn) aufgeboten, wäre alles anders gekommen: "Bernie Sanders hätte gewonnen!"

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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