Frankreich:Vernunft statt Populismus

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Bei den Konservativen in Frankreich hat das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur Fahrt aufgenommen. Alain Juppé ist mit gemäßigten Tönen darum bemüht, sich deutlich von seinem direkten Konkurrenten Nicolas Sarkozy abzugrenzen.

Von Christian Wernicke, Paris

Sein Geist ist willig, auch sein Körper scheint keineswegs schwach. Aufrecht, drahtig und gebräunt tritt Alain Juppé vor sein Publikum. "Ich bin bereit", versichert der Kandidat, "ich habe gerade meinen 71. Geburtstag gefeiert, das ist ein schönes Alter, um an die Macht zu gelangen." Der Republikaner ringt sich ein Lächeln ab, da vor ihm ein paar junge Anhänger jubeln. Und bleibt doch gehemmt.

Die Sonne brennt ihm auf den kahlen Schädel, die Luft flirrt über der "Île des Impressionnistes", der kleinen Seine-Insel nahe Paris. 40 Grad. Alain Juppé, Zeit seines Lebens ein unterkühlter Vernunftpolitiker, muss in dieser Sommerhitze beweisen, dass da ein Feuer in ihm lodert. Kraft möchte er ausstrahlen. Nur leider, die Finger seiner Linken ruhen wie gelähmt auf dem Rede-Skript, umklammern 15 Seiten Papier. So bleibt ihm nur die Rechte. Juppé ballt die Faust, will aufs Rednerpult schlagen, als er vom "starken Staat" spricht. Doch er scheut sich, bricht die Bewegung ab. Dann endlich gelingt ihm eine maskuline Geste. Juppé winkelt den Arm an, spannt seinen Bizeps und ruft: "Verzeihen Sie diesen Moment der Unbescheidenheit - aber ich bin der Mann der Stunde!"

Das Muskelspiel wirkt schräg. Fast unwürdig für einen Staatsmann, der schon alles gewesen ist: Präsidentenberater und Abgeordneter, Minister erst für Haushalt oder Umwelt, zuletzt für Äußeres oder Verteidigung. Nun aber will Juppé Präsident werden. Und seine PR-Berater haben ihm zugeflüstert, er solle Gefühle zeigen. Mehr Passion, mehr Härte. Denn es lauert Gefahr: Noch prophezeien die Umfragen, dass Juppé im November die Vorwahl um die republikanische Spitzenkandidatur gewinnen wird. Aber sein ärgster Konkurrent Nicolas Sarkozy, der hyperagile Ex-Präsident, holt auf. Der Abstand schmilzt - auch weil Sarkozy nach den Terroranschlägen vom Juli mit rechtem Populismus gegen Ausländer oder Muslime bedient, wonach die Volksseele lechzt.

Juppé will das nicht. Die Macho-Geste vor 2000 Zuhörern ist ihm Zumutung genug. "Ich lehne es ab, Ängste zu instrumentalisieren oder niedere Instinkte zu bedienen", stellt der Kandidat klar. Juppé umwirbt die Mitte, will enttäuschte Sozialisten wie ernüchterte Wähler des Front National (FN) zurückgewinnen. Sarkozy wie auch Marine Le Pen, die FN-Vorsitzende, wähnen dieser Tage "Frankreichs Identität" und "unsere Art zu leben" auf dem Spiel. Juppé stellt dem seine Idee von einer "glücklichen Identität" Frankreichs entgegen: "Lasst euch nicht entmutigen vom Defätismus der Propheten des Unglücks", ruft er in die Menge, "seien wir Pioniere!"

Alain Juppé winkt seinen Anhängern zu. Der Republikaner will Frankreichs nächster Präsident werden. (Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

So viel Optimismus grenzt spätestens seit dem 14. Juli von Nizza an Wagemut. Juppé weiß das. Er räumt es sogar ein, wenn er etwa seine Idee erläutert, die französische Republik müsse "ein feierliches Bündnis" mit ihren Muslimen abschließen: Juppé will "eine Charta des Laizismus", die den Muslimen Freiheiten garantiert - ihnen aber den klaren Respekt etwa für Frauenrechte oder die Trennung von Kirche und Staat abverlangt: "Ich will unsere muslimischen Landsleute nicht in die Ecke treiben", sagt er, "ich reiche ihnen die Hand." Dann schiebt er nach: "Dafür nehme ich das politische Risiko auf mich."

Zum Burkini, dem umkämpften Bade-Textil, äußert sich Juppé nicht auf der sonnigen Bühne. Das hat er vorher erledigt, im Schatten. Er wolle "kein Öl ins Feuer gießen", sagt er, ein gesetzliches Verbot des Strandanzugs lehnt er strikt ab. Dass einige seiner Parteifreunde nun sogar erwägen, für ein Burkini-Verbot notfalls sogar die Europäische Menschenrechts-Charta aufzukündigen, tut er ab als "Narretei".

Juppé zieht Grenzen nach rechts. Die jüngste Idee seines Konkurrenten Sarkozy, den Nachzug von Familienangehörigen legaler Einwanderer zu stoppen, geißelt er als "inhuman". Und er gerät - fast jedenfalls - etwas in Rage, da er Sarkozys Idee anprangert, fortan alle nur vage Terrorverdächtigen auch ohne gerichtsfeste Beweise in Internierungslager zu stecken: "Ich akzeptiere kein Guantanamo à la française, wo man ohne Urteil Tausende Personen einsperrt - unbegrenzt und nur auf Verdacht!" Juppé zeigt Kante. Wenn auch die Geste misslingt: Er hebt die Rechte, als wolle er die Luft wie mit einem Fallbeil durchschneiden. Nix da, alle fünf Finger landen leise auf dem Pult. Brav und kultiviert.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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