Frankreich:Und niemand öffnet

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Der ehemalige Premier Valls wendet sich von der Sozialistischen Partei ab - und will jetzt unter dem Logo von En Marche bei der Parlamentswahl antreten, der Bewegung des künftigen Präsidenten. Doch die gibt sich reserviert.

Von Christian Wernicke, Paris

Siegesfeier, bald auch mit Manuel Valls? Unterstützer von Wahlsieger Emmanuel Macron jubeln am Sonntag auf dem Platz vor dem Louvre. (Foto: Jeff J. Mitchell/Getty)

Manuel Valls, bis vorigen Dezember Frankreichs Regierungschef, hat am Dienstagmorgen sehr heftig eine Tür hinter sich zugeschlagen. Die Sozialistische Partei (PS), so sagte der Sozialdemokrat dem Radiosender RTL, sei für ihn "ein Stück Geschichte: Ich hänge an ihr - aber sie ist tot, sie hat sich überlebt." Valls sucht eine neue politische Heimat, er will sich ab sofort einreihen bei En Marche, der Bewegung des künftigen Präsidenten Emmanuel Macron. Am liebsten möchte der 54-jährige Politiker bei den Parlamentswahlen im Juni mit neuem Logo in seinem alten Wahlkreis in Evry antreten, einer Vorstadt südlich von Paris. "Ich will mich bei ihm einschreiben", mit diesen Worten klopft der Ex-Premier an die Pforte der Sieger. Und stellt fest: Niemand öffnet.

So steht der Mensch, der zweieinhalb Jahre lang der zweitmächtigste Frankreichs war, nun auf der Straße. Offenbar hatte Valls seinen Parteiwechsel miserabel vorbereitet. Emmanuel Macron jedenfalls, einst sein früherer Wirtschaftsminister, schwieg zum prominenten Antrag auf politisches Asyl. Und gleich mehrere En-Marche-Funktionäre ließen Valls wissen, so einfach würden die Posten im Lager des neuen Präsidenten nicht verjubelt. "Es gibt keine automatische Ernennung zum Kandidaten", sagte Christophe Castaner, einer der engsten Vertrauten von Macron und - wie Valls - langjähriges PS-Mitglied.

Am Dienstagmittag trat Jean-Paul Delevoye vor die Tür der Wahlkampfzentrale von En Marche. Der freundliche, ergraute Herr ist der Vorsitzende jenes allmächtigen Parteikomitees, das bis Donnerstagmittag sämtliche Kandidaten für die landesweit 577 Wahlkreise der Parlamentswahl im Juni bestimmt. Zwar sei die Frist für Valls noch nicht abgelaufen, bestätigt Delevoye. Aber der frühere Premierminister müsse bitte schön eiligst seine Bewerbung schriftlich einreichen, samt Lebenslauf und polizeilichem Führungszeugnis: "Die Regeln gelten für alle, auch für Monsieur Valls."

Manuel Valls ist ein Beispiel dafür, wie der jähe Aufstieg des Emmanuel Macron Frankreichs alte Ordnung erschüttert. In beiden etablierten Parteien, bei Sozialisten wie Republikanern, mehren sich die Stimmen, die zur Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten über Parteigrenzen hinweg mahnen. Die Parteiführungen denken anders: Sie wollen ihre Reihen fest geschlossen halten bis zu den Wahlen am 11. und 18. Juni, dabei möglichst viele Mandate in der Nationalversammlung erobern - und erst dann mit einem Präsidenten Macron über die Aufteilung der Regierungsmacht verhandeln.

Früher verband Valls und Macron eine Männerfreundschaft, doch das Vertrauen ist zerbrochen

Macron selbst hofft, seine Getreuen könnten beim Urnengang zur Nationalversammlung selbst die absolute Mehrheit von 289 Sitzen erobern. Dagegen spricht, dass die soeben zu La République en Marche umbenannte Bewegung bisher wenig verwurzelt ist im Land. Auch fehlt das Geld, die neuen Kandidaten werden ihren Wahlkampf größtenteils aus der eigenen Tasche vorfinanzieren müssen. Und 61 Prozent aller Franzosen erklärten in einer neuen Umfrage, sie zögen es vor, Macron bliebe ohne eigene Mehrheit im Parlament. Erfahrene, gut vernetzte Altpolitiker könnten En Marche durchaus helfen, Terrain zu gewinnen. Im speziellen Fall Valls jedoch zögern die Marschierer. In Paris ist es kein Geheimnis, dass es zwar dieser Mann war, der im August 2014 Präsident Hollande überredete, den Ex-Banker Macron zum Minister zu promovieren. Aber danach verfinsterte sich diese Männerfreundschaft: Valls musste zusehen, wie der junge, sozialliberale Aufsteiger immer populärer wurde. Der Premier rüffelte seinen Minister öffentlich, brachte Macron 2015 um den Abstimmungserfolg für ein Reformgesetz. Seither ist das gegenseitige Vertrauen zerbrochen. "Bei Valls weißt du nicht, ob er nach der Wahl loyal bleibt - oder wie zuletzt gegen Hollande Intrigen spinnt", raunte schon vor der Wahl vom Sonntag ein Mitarbeiter von Macron.

Frankreichs Sozialisten reagierten am Dienstag gelassen auf Valls' Abgang. "Er steht für noch höchstens fünf Prozent unserer Mitglieder", sagte Parteisekretär Jean-Christophe Cambadélis. Falls Valls tatsächlich für Macron antrete, wolle die totgesagte Partei den Ex-Premier ausschließen.

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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