Frankreich:Sticheln vor der Stichwahl

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Sie sei die Erbin einer rechten Idee, er ein Kandidat der Finanzwelt und Gegner des Volkes: Emmanuel Macron und Marine Le Pen verstärken vor der Entscheidung über das Präsidentenamt am kommenden Sonntag ihre gegenseitigen Attacken.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Nationalkonservative Nicolas Dupont-Aignan ist im ersten Wahlgang gescheitert und unterstützt nun Marine Le Pen. Im Falle ihres Sieges soll er Premierminister werden. (Foto: Joel Aget/AFP)

Sechs Tage vor der Stichwahl um die Macht in Frankreich haben beide Präsidentschaftskandidaten ihre Tonart verschärft. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen nannte ihren sozialliberalen Widersacher Emmanuel Macron am Sonntag "den Kandidaten der Finanzwelt" und einen "Gegner des Volkes". Macron wiederum hielt Le Pen vor, sie sei "eine Erbin des alten politischen Systems": Sie habe von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen, dem Mitbegründer des rechtsradikalen Front National, "die Partei und seine Idee geerbt".

Linkssozialist Mélenchon gibt weiterhin keine Empfehlung für Macron ab

Sie würde Frankreich per EU-Austritt "aus der Welt und aus der Geschichte" führen.

Er, so Macron, werde den FN "bis zum letzten Atemzug bekämpfen". Bei ihrem Auftritt vor 20 000 Anhängern in einer Messehalle nahe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle präsentierte sich Le Pen mit ihrem neuen Verbündeten Nicolas Dupont-Aignan. Der 56-jährige Nationalkonservative, der als Kandidat im ersten Wahlgang mit 4,7 Prozent gescheitert war, würde von Le Pen im Falle ihres Sieges am 7. Mai zum Premierminister ernannt. In der Stadt Yerres südlich von Paris, wo Dupont-Aignans seit Jahren Bürgermeister ist, demonstrierten am Wochenende Hunderte Bürger gegen dessen "Verrat". Dupont-Aignan nahm für sich in Anspruch, Le Pens Programm an mehreren Stellen "entschärft" zu haben. Unter anderem soll ein schneller Austritt aus dem Euro nicht länger die Grundlage aller Wirtschaftspolitik sein.

Am Sonntag erneuerte Le Pen zwar ihr Versprechen, als Präsidentin eine Volksabstimmung über Frankreichs EU-Mitgliedschaft durchzuführen, zum Euro äußerte sie sich aber nur vage. Laut Umfragen befürwortet eine Mehrheit der Franzosen die gemeinsame Währung. Le Pens Vorschlag, zum Franc zurückzukehren, schreckt vor allem Konservative sowie Rentner ab. Am Wochenende brachte Le Pen im Interview mit dem Parisien die Idee ins Spiel, neben dem Euro als Währung für internationale Geschäfte "und für die großen Unternehmen" den französischen Franc "als Währung für die alltäglichen Einkäufe" zu etablieren. Die konkrete Ausgestaltung einer solchen Parallelwährung ließ sie offen. Macron machte sich am Montagabend lustig, Le Pen wolle offenbar "morgens den Franc und nachmittags den Euro". Le Pens sozialpolitische Versprechen wie eine drastische Erhöhung des Mindestlohns oder eine Verrentung mit 60 nannte er "unbezahlbar, es seien "Lügen". Le Pens Wirtschaftsberater Bernard Monot erklärte, sie habe nur den Zeitplan für den Euro-Austritt gestreckt. Es bleibe Ziel, mit einem Austritt und einer Abwertung um circa 20 Prozent Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland zu erhöhen: "Das wurde uns gestohlen, als man den Euro schuf." In ihrer Rede am Montag war Le Pen bemüht, auch Wähler der extremen Linken zu gewinnen. Sie erinnerte an Macrons frühere Tätigkeit als Banker und rief auf, bei der Stichwahl "der Finanz, der Arroganz und König Geld den Weg zu versperren". Viele Wähler des Linkssozialisten Jean-Luc Mélenchon, der am 23. April 19,58 Prozent erzielte, wollen weder Le Pen noch Macron wählen. Bei einer Demonstration zum 1. Mai hielten linke Gewerkschafter Plakate hoch, die beide Präsidentschaftskandidaten als Wahl zwischen "Pest oder Cholera" abtaten. Mélenchon selbst weigerte sich am Wochenende erneut, direkt zur Wahl Macrons und dessen "ultraliberale Politik" aufzurufen. Er bekämpfe zwar den FN, sagte Mélenchon. Aber er sei nicht bereit, "einem Brandstifter das Zeugnis zum Feuerwehrmann auszustellen".

Macron rief am Wochenende alle Demokraten auf, ihn gegen die extreme Rechte zu unterstützen. Zugleich riefen mehrere Widerstandskämpfer und Verfolgte zu seiner Wahl auf. Nachdem Macron bereits am Freitag Oradour-sur-Glane besucht hatte, in dem 1944 deutsche Soldaten 642 Zivilisten ermordet hatten, besuchte er am Sonntag die Holocaust-Gedenkstätte in Paris. Am Montagmorgen legte der Kandidat zudem am Seine-Ufer einen Kranz nieder, um an eine Gewalttat vor 22 Jahren zu erinnern: Am 1. Mai 1995 hatten Anhänger des FN am Rande ihres jährlichen Aufmarsches den 29-jährigen Brahim Bouarram, einen Einwanderer aus Marokko, angegriffen und in den Fluss geworfen. Er ertrank.

Auch FN-Gründer Jean-Marie Le Pen rief sich am Montag in Erinnerung. Der 88-jährige legte vor einem Denkmal für die Nationalheldin Jeanne d'Arc einen Kranz nieder. Unter Anspielung auf dessen Besuche in Gedenkstätten sagte Le Pen, Macron besuche "viele Friedhöfe - das ist ein schlechtes Omen." Marine Le Pen hat ihren Vater aus der Partei ausgeschlossen, er behielt jedoch den Titel "Ehrenpräsident" des FN. Le Pen ist zudem Eigentümer einer Art Minipartei, die der Tochter sechs Millionen Euro zur Wahlkampffinanzierung leiht.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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