Frankreich:Sparen? Später

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Paris will nach den Terror-Anschlägen die Ausgaben für die Sicherheit bei der Berechnung des Haushaltsdefizits ausnehmen lassen. Die anderen Euro-Länder sollten Frankreich diese Ausnahme gestatten - allerdings nur für begrenzte Zeit.

Von Daniel Brössler

Die Terroranschläge von Paris ändern alles. Dieser Satz ist nach dem Grauen, das über die französische Hauptstadt gekommen ist, so schnell und so missbräuchlich verwendet worden, dass er nachvollziehbares Misstrauen provoziert. Die Anschläge ändern nicht alles, aber doch vieles. Frankreich hat erstmals in der Geschichte der Europäischen Union den bis dahin wenig beachteten Artikel 42.7 des Lissabon-Vertrages aktiviert, was als eine Art Ruf zu den Waffen verstanden worden ist. Vielleicht aber war es noch etwas anderes: der Appell, bestimmte Waffen stecken zu lassen. Jene etwa, die der EU-Kommission im Kampf gegen Brüche des Stabilitätspaktes zur Verfügung stehen.

Frankreichs Präsident François Hollande hat offen gesagt, der "Sicherheitspakt" sei nun wichtiger als der Stabilitätspakt. Umgehend sind in der Kommission die Tore weit geöffnet worden. Währungskommissar Pierre Moscovici versicherte, der Pakt sei "weder unnachgiebig noch dumm". Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erbot sich, Sicherheitsausgaben von den Defizitregeln auszunehmen. Klar ist, dass der soeben eingereichte und von der Kommission gelobte Pariser Haushaltsplan Makulatur ist, denn der von Frankreich angekündigte drastische Ausbau des Sicherheitssektors wird - auf Pump - bezahlt werden müssen.

Paris sollte für mehr Sicherheit mehr Schulden machen dürfen

Nun kann eingewandt werden, dass die Kommission schon bisher über die Maßen nachgiebig mit Frankreich umgegangen ist, das seit Jahren das Drei-Prozent-Defizit-Ziel reißt. Es kann darauf verwiesen werden, dass Frankreich ohnehin schon Aufschub bis 2017 gewährt wurde. Es kann auch gemahnt werden, dass wirtschaftliche Schwäche den Kampf gegen den Terror auf längere Sicht nicht leichter machen wird. Das alles kann gesagt werden, und die Versuchung in Deutschland, es auch zu tun, ist vermutlich groß.

Wer aber so reden würde, erweckte den Eindruck, der Pariser Terror-Freitag habe eigentlich nichts verändert. Dabei haben die Anschläge ein EU-Land ins Mark getroffen und damit, wenn sie etwas bedeuten soll, die ganze Union. Alle EU-Staaten haben nach Artikel 42.7 gelobt, Frankreich "alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung" zukommen zu lassen. Bald könnte sich zeigen, wie wenig das ist. Kein gutes Zeichen ist jedenfalls, dass die Bundesregierung vor allem auf eine ohnehin längst geplante Aufstockung des Mali-Einsatzes verweist. Die militärische Entlastung Frankreichs wird vermutlich überschaubar bleiben. In diese Situation hinein muss man sich nun einen erhobenen Zeigefinger deutscher Sparmeister vorstellen.

Dabei sind die Warnungen vor den Folgen des andauernden Ungleichgewichts in der Euro-Zone und vor dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit nicht plötzlich verkehrt geworden. Sie sind nur aktuell fehl am Platze. Hollande steht unter dem Druck des islamistischen Terrors einerseits und einer rechtspopulistischen Opposition anderseits. Rücksicht ist das Mindeste, was er erwarten darf. Zumal der Stabilitätspakt ja tatsächlich für außergewöhnliche Ereignisse Ausnahmen vorsieht.

Die EU-Kommission wird, wie Juncker und Moscovici schon signalisiert haben, viel Verständnis zeigen. Das deckt sich mit dem Anspruch, die EU politisch zu führen, und ist für den Augenblick richtig. Dennoch muss die Kommission als Hüterin der Regeln darauf achten, dass sich die Ausnahmen tatsächlich auf Sicherheitsausgaben beschränken. In nicht allzu ferner Zukunft wird sie auch daran erinnern müssen, dass außergewöhnliche Ereignisse per definitionem endlich sind. Die Terrorgefahr wird lange bleiben, doch sie kann nicht auf Dauer Nachlässe beim Stabilitätspakt rechtfertigen. Der Niedergang des Euro ist ein Sieg, den die islamistischen Krieger auf keinen Fall erringen dürfen.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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