Frankreich:Rechts, zwo, drei, vier

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Dem offiziellen Parteitreffen blieb Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen fern. Stattdessen lud er zur Konkurrenzveranstaltung. (Foto: Boris Horvat/afp)

Auf seinem Kongress besinnt sich der Front National auf seine nationalistischen Wurzeln: Alles Übel kommt von Außen.

Von Christian Wernicke, Marseille

Am Ende strahlt Marine Le Pen, als sei nichts gewesen. Kraftvoll und mit rauer Stimme schmettert sie die Marseillaise, die französische Nationalhymne, ins Saalmikrofon. Sie winkt dem Parteivolk zu, das sie per Schlachtruf bereits zu Frankreichs Präsidentin kürt: "Marine Présidente, Marine Présidente!" Über eine Stunde lang hat die Chefin des Front National (FN) geredet, ihr rinnt der Schweiß. Sie hat, erbitterter denn je, Frankreichs Mächtige gegeißelt, "diese Regierungen von Hampelmännern", die - via EU und Nato - "Frankreich zu Vasallen von Washington und Berlin" degradiert hätten. Und sie hat so hart wie lange nicht den Untergang der Nation beschworen, den Zuwanderer übers Vaterland bringe, "die in unseren Vierteln und an unseren Bahnhöfen herumlungern" und "die keine Chance sind - sondern nur eine Last!"

Nun steht sie da und gibt sich glücklich. Der Beifall, das Gejohle, die Jubelbilder aus dem halbdunklen Kongresszentrum von Marseille: Sie sollen beweisen, dass Frankreichs Rechtsextreme geschlossen hinter ihr stehen. Das soll alle Widersacher mundtot machen. Allen voran jenen Poltergeist will sie zum Schweigen bringen, dessen leibliches Erscheinen die FN-Chefin bis zur letzten Sekunde der zweitägigen "Sommer-Universität" ihrer Partei hatte fürchten müssen: Jean-Marie Le Pen, der greise Vater und geschasste FN-Mitbegründer. Der 87-jährige Dickschädel, der sich trotz Entzugs seines Parteibuchs als "geistiger Führer" der Bewegung wähnt, weilte ebenfalls in der Metropole am Mittelmeer. Papa ante Portas, zwei Tage lang quälte Tochter Marine die bange Frage: "Kommt er - oder kommt er nicht?" Am Ende kam er nicht. Aber aus der Ferne warf er seinen breiten Schatten auf den FN-Kongress. Oben auf einem Hügel im Norden von Marseille, wo die besseren Leute zwischen Oliven- und Feigenbäumen ihre Gärten pflegen, hatte er am Samstag 400 Anhänger in einem Restaurant versammelt. Die Getreuen, zumeist ergraute Semester, gaben sich kampfeslustig. Man sei bereit, eine neue Partei zu gründen: Eine Art Anti-FN, rechtsextrem wie anno dazumal.

Nur, ihr Idol klang viel milder. Ein lauer Wind strich durch Äste, da sich Jean-Marie Le Pen auf der Restaurant-Terrasse sitzend den Fragen der Journalisten stellte - und "das Ende aller Spaltungen" und "die Rückkehr zur Einheit" des FN beschwor. Ja, er sei bereit, sich mit Tochter Marine zu treffen. Und nein, er werde keinesfalls bei den Regionalwahlen im Dezember als Kandidat einer Anti-Liste gegen seine geliebte Enkelin Marion Maréchal Le Pen antreten. Das klang versöhnlich. Später jedoch raunte es vom Hügel, dass der Algerien-Veteran und selbst erklärte "ewige Kämpfer" doch eine Waffe gezogen hat: Gehüllt in die Farben der Trikolore will er eine neue "Sammlungsbewegung Blau-Weiß- Rot" (Rassemblement bleu-blanc-rouge) gründen. Die könne, so fügte er hinzu, brav "innerhalb des Front National" agieren. Vater Le Pen wusste sehr wohl, dass seine Erbin an der FN-Spitze das nie zulassen würde. Stunden später sagte Tochter Marine, es stehe "jedermann frei, außerhalb des FN irgendwelche Vereinigungen zu gründen". Nur, im Innern ihrer Bewegung dulde sie "keine Vereine oder Strömungen".

Hinter Merkels Forderung nach einer Flüchtlingsquote stecke "Deutschlands Bedarf an Sklaven"

Der Vater soll draußen bleiben, Marine Le Pen hält die Reihen fest geschlossen. Zu diesem Zweck nimmt sie einen kleinen Rechtsruck in Kauf - zurück zu den nationalistischen Wurzeln, die er ihr einst einpflanzte. All die Gefahren, die das Vaterland bedrohen, sollen die Partei einen: Migranten, die EU - und Deutschland. Florian Philippot, Stellvertreter der FN-Chefin, enthüllte am Samstag eine vermeintlich deutsche Verschwörung. Hinter der Forderung von Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande nach europäischen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen stecke "Deutschlands Bedarf an Sklaven für seine Industrie". Mehr Fremde - "das dient dem zynischen Interesse des deutschen Großkapitals."

Hinten im Saal in Marseille sitzt Philippe Andre-Rey mit seiner Frau und klatscht Philippot Beifall. Die Eheleute sind Stadträte in einer Kleinstadt im Rhônetal und hegen Sympathien für die deutschen Nachbarn. "Aber was Frau Merkel mit den Flüchtlingen jetzt macht, wird Ihr Land zerstören", glaubt der 51-Jährige. Er mutmaßt, Berlin wolle sich die besten Arbeitskräfte unter den Migranten aussuchen - "und den Rest dann per Quote auf Europa verteilen". Das, nicht der Erbstreit zwischen Vater und Tochter, mache ihm Angst: "Ich bin eh erst eingetreten, als der Vater abgedankt hatte." Das teilt er mit drei Viertel aller FN-Mitglieder. Auch das erklärt, warum Marine Le Pen am Sonntag so siegessicher lächelt. Laut Umfragen könnte sie im ersten Durchgang der Präsidentenwahl 2017 die meisten Stimmen bekommen.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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