Frankreich:Marsch in die Mitte

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Wirtschaftsminister Macron gründet eine Bewegung, die das starre Rechts-Links-Schema der französischen Politik aufbrechen soll. Noch dient er den Interessen von Staatschef Hollande. Doch womöglich tritt Macron bald selbst als Präsidentschaftskandidat an.

Von Christian Wernicke

Im Westen 'was Neues, endlich. Die Nachricht, dass einer der wenigen noch populären Politiker Frankreichs - Wirtschaftsminister Emmanuel Macron - eine "Bewegung" gründen will, hat in Paris viel Staub aufgewirbelt. "En marche" (deutsch: "In Bewegung") nennt Macron seine Initiative. Halb Bürgerforum, halb Denkfabrik soll sie sein - alles, nur ja keine Partei, die sich im einfältigen Links-rechts-Schema verorten ließe. Die rostigen Rituale dieser Lager-Demokratie lähmen die Nation, und sie sind mit schuld daran, dass jeder vierte Franzose mittlerweile den Parolen des rechtsextremen Front National hinterherläuft.

Macron, mit 38 Jahren der Jungstar der Pariser Politik, steht im Zentrum. Und er sucht eine neue Mitte. Daran fehlt es der Republik. Mehr als die Hälfte aller Franzosen bekunden, sie seien bereit, schmerzhafte Veränderungen zur Wiederbelebung von Frankreichs sklerotischer Politik und Wirtschaft mitzutragen. So spricht das moderate, das moderne Frankreich. Nur, diese Millionen Stimmen der Vernunft kommen an der Seine nicht zu Wort. Sie ziehen nicht fahnenschwenkend über die Boulevards, und der bipolare Politbetrieb sorgt dafür, dass Kompromisse zwischen den Betonblöcken von links und rechts zerrieben werden.

Ein Minister der Republik als Systemfeind? Nein, Macron ist kein Revoluzzer. Der Mann absolvierte die Kaderhochschule Ena, wurde Bankier, Präsidentenberater, Minister. Er ist ein Kind jener Ordnung, die er verändern will. Da ähnelt dieser Sozialliberale jenem anderen, beinahe doppelt so alten Politiker auf der Rechten - dem einzigen übrigens, dem die Franzosen mit noch mehr Sympathien begegnen: Alain Juppé, der wahrscheinlichste Kandidat der konservativen Republikaner für die Präsidentschaftswahl 2017, gilt ebenfalls als moderat, modern, kompromissfähig. Als einer, der wie Macron das Land aus der Mitte heraus erneuern kann.

Dieser Juppé ist ein Grund dafür, warum Präsident François Hollande seinem "en marche" geratenen Minister Macron eine lange Leine lässt. Andere Sozialisten finden, der Präsident solle dem Alleingänger mehr Disziplin verordnen. Sie missverstehen Hollandes Kalkül: Der unpopuläre Präsident gibt sich noch immer der Illusion hin, ihm könne 2017 irgendwie die Wiederwahl gelingen. Dafür soll Macron jetzt verlorene Stimmen in der Mitte zurückgewinnen.

Deshalb bleibt Macron vorerst an Bord. Er spielt den Matrosen, der an Bord eines arg ramponierten Kutters namens Élysée steuerbords seine Netze auswerfen und auf Wählerfang gehen soll. So kann der Wirtschaftsminister weiter an Profil gewinnen - auch gegenüber dem eigentlichen Bootsmann der Regierung, dem autoritären Sozialdemokraten und Premierminister Manuel Valls.

Wirklich spannend würde der Fischzug des Emmanuel Macron, falls Hollande doch noch ein Einsehen hat und auf eine Kandidatur verzichtet. Spätestens dann würde klar, warum der parteilose Jungstar seine "Bewegung" mit zwei Worten belegt hat, die zugleich seine persönlichen Initialen enthalten: "En marche" wäre dann seine jenseits von rechts und links lancierte Plattform, um selbst Präsident zu werden.

Ein kühnes Manöver. Aber eines, das viele Franzosen begeistert. Wahrscheinlicher ist derzeit, dass Alain Juppé 2017 den Élysée-Palast erobert. Aber wer weiß, vielleicht heuert Juppé als Präsident dann Macron als Bootsmann und Premierminister an? Es wäre ein Traumpaar für Reformen, sie könnten Frankreich und Europa wiederbeleben. Warum nicht? Vive la France!

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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