Frankreich:Der Kampf um den Laizismus

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Die Ministerin für Staatsbürgerschaft, Marlène Schiappa, nennt das neue Komitee den "bewaffneten Arm des Laizismus". (Foto: Michel Euler/AP)

Die französische Politik streitet über ein neues Komitee, das die Trennung von Staat und Kirche überwachen soll. Der eigentliche Kern des Konflikts ist aber der Umgang mit dem Islam.

Von Nadia Pantel, Paris

In der Theorie ist es einfach: Frankreichs Laizismus soll befreien. Er soll dem Einzelnen die Wahl lassen, an einen oder an keinen Gott oder auch an mehrere Götter zu glauben. Der Laizismus soll damit zwei der großen Versprechen der Republik einlösen: liberté und égalité, Freiheit und Gleichheit. Denn wenn Glauben reine Privatsache ist, darf der Wert des Einzelnen auch nicht an seiner Religion gemessen werden. Gleichzeitig muss sich die Religion vom Staat fernhalten.

Wie viel komplizierter es in der Praxis ist, zeigt die Neugründung des "Interministeriellen Komitees für Laizismus", das in dieser Woche seine Arbeit aufnahm. Das Komitee löst die "Beobachtungsstelle für Laizismus" ab, die zu diesem Sommer hin aufgelöst wird. Einfach ein Namenswechsel, könnte man meinen, schließlich wird das Komitee dasselbe tun, was vorher die Beobachtungsstelle übernahm: streng darauf achten, dass die Trennung von Kirche und Staat eingehalten wird. Doch während die Beobachtungsstelle unabhängig war, handelt es sich bei dem "Interministeriellen Komitee" um eine staatliche Institution, die zehn Regierungsmitglieder vereint. Unter ihnen Bildungsminister Jean-Michel Blanquer und die dem Innenminister beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, Marlène Schiappa. Beide haben im Kampf für den Laizismus ihre politische Identität gefunden.

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Wobei Schiappa so weit geht, das neue Komitee den "bewaffneten Arm" des Laizismus zu nennen. Was die martialische Rhetorik der aktuellen Debatte gut illustriert. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die eine liberalere Vorstellung von dem Umgang mit Religion haben, auf der anderen Seite diejenigen, die sich der "laïcité de combat" verschrieben haben, dem Kampf-Laizismus. Diese Linie trennt auch die nun abgeschaffte Beobachtungsstelle von dem neu gegründeten Komitee. Als ein rechtsextremer Politiker sich 2019 darüber aufregte, dass auf den Besucherrängen eines Lokalparlaments eine Frau mit Kopftuch saß, beschwichtigte die Beobachtungsstelle. Ja, die Frau darf auch in einer öffentlichen Institution ein religiöses Symbol tragen, schließlich ist sie dort als Privatperson, nicht als Vertreterin des Staates. Komitee-Mitglied und Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hingegen möchte Müttern das Tragen des Kopftuches verbieten, sobald diese in ihrer Freizeit einen Schulausflug begleiten.

Der Islam gewinnt an Sichtbarkeit

Der Kern des Konflikts berührt zweierlei: Wie geht Frankreich mit seinen Einwanderern um? Und wie begegnet es der Bedrohung durch den Islamismus? Als 1905 das Gesetz erlassen wurde, auf dem bis heute die Trennung von Kirche und Staat basiert, ging es darum, den Einfluss der katholischen Kirche zu beschränken. Doch die Zahl der Katholiken schrumpft ohnehin seit Jahrzehnten, die Kirchen sind leer. Der Islam hingegen gewinnt im öffentlichen Raum an Sichtbarkeit. Und so entwickelt sich der Streit um den Laizismus immer wieder zu einem Streit um den Islam. So gilt die Gründung des staatlichen Laizismus-Komitees als Reaktion auf die Ermordung des Lehrers Samuel Paty durch einen islamistischen Terroristen. Paty hatte im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt, um die Logik von Pressefreiheit und Laizismus zu erklären.

Der ehemalige Direktor der nun abgeschafften Beobachtungsstelle, Jean-Louis Bianco, wertet die neue Laizismuspolitik als Affront gegen seine Arbeit. Es sei "skandalös", dass die Regierung es wirken lasse, als haben seine Mitarbeiter und er nichts gegen islamistische Umtriebe an Schulen unternommen. Er fordere seit 2015, was nun durch das Komitee ermöglicht werden soll: eine Laizismus-Ausbildung aller Beamten. Damit Lehrer und städtische Angestellte wissen, wie sie reagieren können, wenn Schüler oder Bürger die Werte der Republik infrage stellen. Doch Bianco legt Wert darauf, den Laizismus nicht zu einem Instrument von "Kontrolle und Unterdrückung" werden zu lassen. Der Laizismus "lehrt uns, zusammenzuleben und unsere jeweiligen Unterschiede zu respektieren", so Bianco zu Europe 1. Die neue Laizismuspolitik sieht strengere Regeln für die Überwachung von religiösen Vereinen vor. In den regionalen Präfekturen sollen neue Stellen geschaffen werden, denen man Verstöße gegen den Laizismus melden soll. Dazu kann gehören, dass ein öffentliches Schwimmbad getrennte Badezeiten für Männer und Frauen anbietet.

Während die Laizismus-Minister ihre Arbeit aufnahmen, besuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Freitag die katholische Wallfahrtsstätte Lourdes, am Fuße der Pyrenäen. Darauf hatten alle seine Vorgänger bislang verzichtet, aus Respekt vor der strengen Trennung von Kirche und Staat. Macron traf sich in Lourdes mit geistlichen Würdenträgern und Vertretern des Tourismusverbandes.

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