Frankreich:Kampf um die neue Würde

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Bei der Vorwahl der Konservativen geht es um sehr viel. Das Präsidentenamt steht längst nicht mehr in de Gaulles Tradition. Aber es ist auch nicht so schlecht, wie es Sarkozy und Hollande gemacht haben.

Von Christian Wernicke

Bis heute hallt der Satz nach. Die Wahl des Präsidenten, so sprach Charles de Gaulle vor mehr als einem halben Jahrhundert, sei "die Begegnung zwischen einem Mann und einem Volk". Der Retter der Nation und Gründer der V. Republik glaubte fest an die mystische Berufung "großer Männer", die Geschicke ihrer Nation zu lenken. Vom Parlament hielt der General wenig, Parteien verachtete er. Das Volk sollte den Monarchen auf Zeit küren - und ihm dann brav folgen.

De Gaulle verkörpert noch immer das Idealbild, das sich viele Franzosen von ihrem Präsidenten malen. Jahrzehnte der Verklärung haben ihn post mortem zu einem Riesen heranwachsen lassen, der alle, die da heute politisch herumwerkeln in Paris, wie Zwerge erscheinen lässt. Wer hoch hinaus will, beruft sich auf den General. Das ist Pflicht, zumal wenn er jetzt als Spitzenkandidat von Frankreichs konservativen Republikanern - den Erben des Gaullismus - dem Übervater nachfolgen und in den Élysée-Palast einziehen will. François Fillon, der Favorit der sonntäglichen "Primaire" der Rechten, zitiert de Gaulle in jeder Rede. Und sein Konkurrent Alain Juppé pilgerte noch am Freitag zum Grab des Patriarchen. Indem er um den Segen des Toten betete, bettelte er um ein paar mehr Stimmen unter den Lebenden.

Sarkozy und Hollande haben das Präsidentenamt beschädigt

Nur leider, das sind hohle Rituale und Gesten, die rückwärts weisen. Die Verbeugung vor dem General nährt die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, da die Nation größer und überhaupt alles besser war. Die Herbeirufung des historischen Helden schürt die Illusion, man könne noch heute Politik à la de Gaulle betreiben. Dabei beweist doch exakt jene Prüfung, der sich Fillon und Juppé seit Wochen unterwerfen, wie sehr sich Frankreichs Demokratie verändert hat: Aussicht auf das Präsidentenamt hat nur, wer sich zuvor monatelang dem Hickhack einer Vorwahl und den Attacken eines halben Dutzends mäkelnder Parteifreunde unterwirft. Sogar Präsident Hollande, der Amtsinhaber, wird zunächst eine "Primaire" der Linken überstehen müssen, falls er 2017 nochmals antritt.

Man mag diese Amerikanisierung von Frankreichs politischer Kultur bedauern, gar als Niedergang deuten. Aber so funktioniert die Demokratie inzwischen. Die Kräfte gottgleicher Vorsehung jedenfalls, wie man sie bei Jeanne d'Arc und de Gaulle wirken sah, wirken eben nicht mehr.

Die Ent-Heiligung des höchsten Staatsamtes haben zwei Männer beschleunigt. Zunächst ging Nicolas Sarkozy seinen Landsleuten als hyperaktiver, egozentrischer "Président bling-bling" auf die Nerven. Dann zerrüttete Hollande die Aura des Amtes. Er ließ sich als Gigolo auf dem Motorroller erwischen, zuletzt zog der "Président bla-bla" in Gesprächsbüchern über ganz Paris und das halbe Land her.

François Fillon wie Alain Juppé bemühen sich um neue Würde. Das weckt Vertrauen und mag helfen, Frankreich durch harte Reformen in die Zukunft zu führen. Der Kult um de Gaulle jedoch schadet nur. So wie er könnte heute niemand mehr Politik machen. Nicht mal der General selbst.

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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