Frankreich:Hollandes Tragik

Der Präsident hat den ersten Teil seiner Amtszeit vergeudet.

Von Christian Wernicke

Es geschah fast unbemerkt. Zum Jahresanfang hat Frankreichs Staatsoberhaupt François Hollande jenes Symbol abgeschafft, mit dem er 2012 noch lauthals die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte: die "Reichensteuer". Hollande hat den Obolus von 75 Prozent auf alle Einkommen über eine Million Euro still und leise auslaufen lassen, nach nur zwei Jahren. Der Sozialist weiß, dass dies bei seinen (zumeist ohnehin enttäuschten) Anhängern keine Freude auslöst. Deshalb erwähnte er die Steuer mit keinem Wort, als er der Nation an Silvester seine Neujahrsgrüße übermittelte.

Dennoch, Frankreichs Präsident hat Kapital geschlagen aus seinem TV-Auftritt. Hollande, zuletzt ein Politiker von meist trauriger Gestalt, warb kämpferisch für seinen Reformkurs. Er verzettelte sich nicht in technokratischen Details, verlor sich nicht wie sonst oft zwischen Kommastellen und Paragrafen. Stattdessen hat er all seine kleinen und mittelgroßen Reformen klarer denn je als ein Programm zur Erneuerung und Modernisierung der Nation erklärt.

Der Präsident setzt jenen Weg fort, den er vor genau einem Jahr zu beschreiten begonnen hat: seine sozialdemokratische Wende, hin zu weniger Staat und mehr Markt. Das ist richtig, und dennoch tragisch. Weil Hollande seine ersten zwei Amtsjahre vergeudete, könnte er am Ende ähnlich kläglich untergehen wie seine symbolische Steuer.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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