Frankreich:Hahn auf der Hühnerstange

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Erstes Treffen der Neuen: In der französischen Nationalversammlung sind etwa 70 Prozent der Abgeordneten Neulinge. Die Partei von Präsident Macron hat eine absolute Mehrheit. (Foto: Patrick Kovarik/AFP)

Neun Tage nach der Parlamentswahl wird François de Rugy in Paris zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt - und setzt sich damit gegen zwei weibliche Abgeordnete durch.

Von Christian Wernicke, Paris

So viel Anfang war nie. Siebzig Prozent der 577 Abgeordneten, die am Dienstag vorbeizogen am besäbelten Spalier der Republikanischen Garde, nahmen zum ersten Mal in ihrem Leben Platz im prunkvollen Halbrund von Frankreichs Nationalversammlung. 72 Prozent Novizen, das gab's noch nie. Die im Saal übermächtigen Marschierer, die 308 Mitglieder der Fraktion von La République en Marche, wählten zwar einen Alteingesessenen (und wieder keine Frau) zu ihrem Präsidenten: François de Rugy, ein von den Grünen ins Lager von Präsident Emmanuel Macron gewechselter Realo, erhielt im Plenum 353 von 543 Stimmen. De Rugy kennt alle Korridore und Tricks im Palais Bourbon seit 2007. De Rugy, mit nur 43 Jahren ein parlamentarischer Veteran, verhieß "eine modernere, demokratischere und offenere Assemblée nationale". Die Opposition hingegen plagen Zweifel: Rechte wie Linke wittern eine "Monarchisierung" der Republik - weil der Präsident mehr Macht und mehr Licht denn je an und auf sich ziehen wolle.

Nach 228 Jahren sei es Zeit für etwas Matriarchat im Hohen Haus

Eindeutiger denn je sind die Verhältnisse im neuen Parlament. En Marche besitzt mit 308 Abgeordneten die absolute Mehrheit, hinzu kommen 42 verbündete Vertreter der zentristischen Partei Modem. Macrons Marschierer können sich vor Zulauf kaum retten. Am Dienstag rückte nun obendrein Verstärkung von Halblinks an: Manuel Valls, bis Dezember sozialdemokratischer Premierminister, verließ die Sozialistischen Partei (PS) und reiht sich nun bei En Marche ein. Und der PS-Fraktion, nunmehr auf 30 Genossen geschrumpft, könnten weitere Mitglieder von der Fahne gehen. Als Trost blieb den Resten der bisherigen Regierungsfraktion ein Etikettenwechsel: Sie taufte sich zur Nouvelle Gauche um, zur vermeintlich neuen Linken.

Mit einer alten Sitte mochten die Deputierten dennoch nicht brechen: Sie wählten, zum 246. Mal seit Ausrufung der Assemblée nationale anno 1789, erneut ein maskulines Mitglied zu ihrem Präsidenten. Zwar hatten am Dienstagmorgen zwei Frauen, die früheren Sozialistinnen Sophie Errante und Brigitte Bourguignon, in der Fraktion von En Marche mit dem Argument für sich geworben, nach 228 Jahren sei es Zeit für etwas Matriarchat im Hohen Haus. Doch am Ende siegte Francois de Rugy, ein auch bei politischen Gegnern respektierter Vernunftpolitiker, der seit zehn Jahren für die Grünen im Palais Bourbon sitzt. De Rugy gewann das Votum in der Fraktion auch deshalb sehr eindeutig, weil Macron hinter den Kulissen angedeutet hatte, er wünsche einen erfahrenen Parlamentarier auf dem "Perchoir": "Sitz- oder Hühnerstange" nennen die Franzosen jenen so prächtigen wie ungemütlichen Sessel, der hoch oben hinter dem Rednerpult der Nationalversammlung thront. Als Trostpflaster beschloss En Marche, über sämtliche Machtposten im Hohen Haus nach der Hälfte der Legislaturperiode neu abzustimmen. Ende 2019 winkt den Frauen eine neue Chance.

François de Rugy, das altbekannte Gesicht, passt dennoch zu den Erneuerern. Der damals 33-jährige Lehrersohn und Absolvent der Elite-Uni Sciences Po in Paris war 2007 einer der allerersten Politiker, der im Namen der Transparenz seine Vermögensverhältnisse offenbarte. De Rugy ist kein Volkstribun, seine Diskurse geraten - wie seine Antrittsrede am Dienstag - oft etwas hölzern. Der sozialliberale Ökologe punktet mit Argumenten: Als er noch als Kandidat der Grünen im Januar an der Vorwahl der Sozialisten teilnahm, überzeugte er in zwei TV-Debatten. Nach seiner Niederlage war de Rugy der erste der linken Präsidentschafts-Aspiranten, der zu Macron überlief. Der früh ergraute Technokrat hatte früher als andere die Krise von Frankreichs Demokratie erkannt: So schlug er vor, die Citoyens per Wahlpflicht an die Urnen zu zwingen. Oder man solle einen Wahlgang annullieren, falls nicht einmal die Hälfte der wahlberechtigten Landsleute sich in ein Wahllokal aufraffe.

Dennoch fiel ein Schatten über die Eröffnung der Nationalversammlung. Staatsoberhaupt Macron plant offenbar, am Montag im Schloss von Versailles den Kongress einzuberufen, eine höchst selten zelebrierte Sitzung aller Abgeordneten und Senatoren. Macron, der "kein normaler Präsident" sein will, möchte dort künftig jedes Jahr eine "Rede zur Lage der Nation" offerieren. Die Rolle des US-Präsidenten dient ihm dabei als Vorbild.

Kritiker beklagen weniger die Amerikanisierung. Die Opposition ärgert, dass Macron damit die tags darauf in der Nationalversammlung angesetzte Antrittsrede von Premier Philippe wertlos mache. Und das wiederum schwäche das Parlament. Macron, so schimpfte der republikanische Fraktionschef Christian Jacob, offenbare Allüren "eines Sonnenkönigs". Als Trost blieb, dass in Versailles dann Parlamentspräsident de Rugy immerhin Zeremonienmeister sein wird.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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