Frankreich:Giftige Gunst

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Nun folgt auch Ex-Premier Valls dem Beispiel anderer Sozialisten und unterstützt den parteilosen Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron. Für diesen ist die Hilfe jedoch gefährlich. Denn das Volk hat genug von Valls und dem sozialistischen Präsidenten Hollande.

Von Christian Wernicke

Man kann es "gefährliche Liebe" nennen, die da über Frankreichs neuen Helden hereinbricht: Emmanuel Macron, der junge Hoffnungsträger der Nation, vermag sich dieser Tage kaum zu retten vor Zuneigung und Zulauf. Alte Feinde und frühere Parteifreunde, Rechte wie Zentristen und Linke - von allen Seiten stürmen sie herbei, um sich einzureihen bei "En Marche", der Bewegung des 39-jährigen Präsidentschaftskandidaten. Am Mittwoch war Manuel Valls an der Reihe, der frühere Premier: Der Sozialdemokrat kehrte dem Kandidaten seiner eigenen Partei, dem linken Sozialisten Benoît Hamon, den Rücken und rief zur Wahl von Macron auf. Der Gelobte dankte; und wirkte doch merkwürdig verdruckst.

Macron spürt, wie all die Umarmungen ihn erdrücken. Sie rauben ihm die Luft, die seine Kampagne atmet. Der Sozialliberale präsentiert sich als "Kandidat gegen das System", verheißt "eine Revolution" und "neue Gesichter". Es schadet ihm, wenn nun reihenweise die Köpfe des Establishments sich neben oder hinter ihm ins Bild schieben. Die Nachrede, Macron sei ein Günstling von Amtsinhaber François Hollande und letztlich nur dessen lächelnder Klon, könnte den Aspiranten noch viele Sympathien und Stimmen kosten. Vier von fünf Franzosen erklären, sie hätten die Nase voll vom Noch-Präsidenten Hollande und vom Ex-Premier Valls.

Präsidentschaftskandidat Macron erleidet viel Hilfe von Sozialisten

Angeblich hatte Macron seine beiden früheren Chefs vertraulich gebeten, ihm das Gift ihrer öffentlichen Gunst zu ersparen. Dafür, dass Valls ihn dennoch preist, gibt es drei Deutungen. Liebhaber von Intrigen unterstellen dem Machtmenschen Valls, er wolle Macron per Bruderkuss schaden, um demnächst selbst alle gemäßigten Geister um sich zu scharen. Idealisten hingegen glauben, den Sozialdemokraten leiteten reine Sorge und pure Angst um die Republik vor der Machtergreifung des Front National.

Realisten hingegen entdecken in Valls' kalter Umarmung eine politische Strategie für die Tage und Monate nach dem 7. Mai. Denn nach der Kür eines neuen Präsidenten folgen noch zwei Wahlgänge: Mitte Juni wählen die Franzosen ein neues Parlament. Falls Macron tatsächlich der nächste "Monarch der V. Republik" wird, so braucht er doch eine stete, möglichst stabile Mehrheit in der Nationalversammlung. Andernfalls kann er all die versprochenen (und oft bitter nötigen) Reformen kaum in Taten und Gesetze umsetzen.

Deshalb rackert sich Macron derzeit ab, seine noch lose Bewegung "En Marche" (EM) in eine handlungsfähige Partei zu verwandeln. In allen 577 Wahlkreisen will er Kandidaten aufstellen, mindestens die Hälfte von ihnen sollen politische Neulinge sein. Nur: Selbst Optimisten im Lager der "Marschierer" rechnen nicht mit mehr als 120 oder 150 Mandaten im neuen Parlament. Das wäre bestenfalls die Hälfte jener Stimmen, die notwendig sind, um im Land zu regieren. Ein Präsident Macron, so das Szenario, müsste sich seine Mehrheiten mühsam zusammenklauben. Oder noch schlimmer: Er müsste sich als parteiloser Präsident mit einer Regierung arrangieren, die ihm nicht gehorcht. Cohabitation nennen die Franzosen solch eher ungeordnete Verhältnisse zwischen Neben- und Gegeneinander.

So oder so, Macron müsste sich Verbündete suchen in einem Parlament, in dem die alten Parteien - Republikaner und Sozialisten - weit weniger zu sagen haben werden als bisher. Dabei will Valls mitspielen, kräftig sogar. Als Anführer einer "Fraktion der Progressiven" möchte er mitmischen, möglichst als Koalitionspartner, notfalls als Gegenpol und Opponent. Das "Ancien Regime" von Frankreichs Parteiendemokratie zerbricht. Wohin das führt, weiß noch niemand. Auch nicht Macron, der Marschierer.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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