Frankreich:Angst vor Daten-Monster

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Der Innenminister hält an seiner Mega-Datenbank für den Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität fest. Allerdings darf das Parlament jetzt ein bisschen mitreden. Datenschützern reicht das nicht. Sie befürchten Missbrauch.

Von Christian Wernicke, Paris

Menschenrechtler warnen vor Staatskontrolle, Datenschützer wie auch sozialistische Parteifreunde werfen Innenminister Bernard Cazeneuve vor, er habe "eine Art Monster" gezeugt. Per Dekret - also ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage - hat Frankreichs Regierung eine neue Datenbank begründet, die Angaben von mehr als 60 Millionen Bürgern zentral speichern wird. Nicht nur Name, Geburtsdatum und Adressen, auch biometrische Daten wie Fingerabdrücke aus Pässen und Ausweisen sollen für die Sicherheitsbehörden per Knopfdruck abrufbar sein.

Nach tagelangen Protesten hat Cazeneuve Ende der Woche nun zwar einige Konzessionen angekündigt. So sollen seine Citoyens (Bürger) das Recht erhalten, bei der Beantragung ihrer nächsten "Carte d'identité" der Speicherung ihrer biometrischen Daten zu widersprechen. Zudem konzedierte der Minister, Nationalversammlung sowie Senat sollten über seine Mega-Datenbank im Parlament beraten dürfen. Nur, ändern wird das wenig - denn Cazeneuves Dekret bleibt in Kraft.

Frankreichs leiser, meist unauffällig agierender Innenminister rechtfertigt die Datenbank als Mittel im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus. Sein Manöver, das Dekret ausgerechnet im Laufe des Ferienwochenendes vor Allerheiligen im Amtsblatt zu veröffentlichen, schürte zusätzlichen Argwohn, sogar innerhalb des Kabinetts: Cazeneuves Kollegin Axelle Lemaire, für Datenschutz zuständige Staatsministerin, fühlte sich hintergangen und sprach von einer "klammheimlichen Entscheidung". Lemaire lenkte inzwischen ein - auch weil das Innenministerium zusagte, das Zentralregister namens TES (titres électroniques sécurisés) werde von unabhängigen Experten überprüft, ob es hinreichend gegen Hackerangriffe geschützt sei. Probeweise läuft es seit Dienstag.

Die Sorge vor kriminellem Missbrauch ist ein Punkt, der IT-Experten plagt. Frankreichs Nationaler Digitalrat (CNIL), ein Gremium unabhängiger Sachverständiger, befürchtet auch Missbrauch seitens des Staats. Zwar beteuert Minister Cazeneuve, die Datenbank diene dazu, bei Kontrollen die Angaben von Bürgern zu beglaubigen. Die weiter reichende Identitätsermittlung eines Unbekannten, etwa per Abgleich von Fingerabdrücken, sei untersagt.

Nur, das genügt den CNIL-Experten nicht. Denn erstens habe die französische Regierung schon bei anderen Datenbanken nachträglich die Nutzungsmöglichkeiten durch Polizei oder Geheimdienst erweitert. Und zweitens sei die Gefahr des Missbrauchs der Datenbank durch eine andere, autoritäre Regierung heute größer denn je: "Demokratische Rückschläge sowie das Anwachsen des Populismus, wie wir ihn in Europa und den Vereinigten Staaten beobachten, machen dies zu einer wahnwitzigen Wette auf die Zukunft."

Als die Datenschützer ihrer Regierung dies ins Stammbuch schrieben, hatten sie offenbar Marine Le Pen vor Augen, die Vorsitzende von Frankreichs Front National. Donald Trump war bei Verfertigung des Gutachtens noch nicht gewählt. Inzwischen kündigten einzelne Bürger sowie die Liga für Menschenrechte an, gegen Cazeneuves Daten-Dekret vor dem Staatsrat zu klagen.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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