Frankfurt:Feiern, bis Scheinwerfer angehen

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Friedliche Räumung durch die Polizei: In der krawallträchtigen Freiluft-Partyzone am Opernplatz wirkt das neue Sicherheitskonzept.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Der Abendhimmel ist lila, die Luft samtweich, es ist Sommer. Auf der Zeil, Frankfurts Einkaufsstraße, ziehen am Freitagabend gegen zehn Uhr die Menschen maskenlos durch die Nacht, als gäbe es das Virus namens Sars-CoV-2 nicht. Die Mannschaftswagen der Polizei, die hier nun stehen, drängen die Menschen noch näher zusammen. "Kommen Sie mal mit", sagen zwei Polizisten zu einem jungen Mann mit dunklen Haaren und Trainingshose. "Soll ich mich vorn oder hinten an den Wagen stellen?", fragt der junge Mann. Hinten bitte. Alles klar. Angespannte Höflichkeit knistert zwischen ihm und den Polizisten.

Vorigen Samstag hat es 200 Meter weiter Stress gegeben. Auf dem Opernplatz hatten sich bis zu 3000 Menschen zur Freiluftparty mit jeder Menge Alkohol versammelt. Am frühen Morgen kippte die Stimmung, es gab eine Schlägerei, als die Polizei eingriff, flogen Flaschen aus der Menge gegen sie. Die 500 bis 800 Menschen, die noch auf dem Platz waren, johlten, wenn eine Flasche einen Polizisten traf. Die Folge: fünf verletzte Beamte, 39 Festgenommene - mehrheitlich polizeibekannte, alkoholisierte Männer, die von außerhalb angereist waren, viele mit Migrationsgeschichte. Es gab bundesweite Empörung.

Nun hat die Stadt Frankfurt ein Sicherheitskonzept entwickelt: Es darf weiter gefeiert werden. Aber ab Mitternacht gilt ein Betretungsverbot für den Opernplatz, um ein Uhr wird geräumt. Bis September soll das so gehen. Und heute ist Premiere.

Oberbürgermeister Feldmann stellt sich kritischen Fragen von Antirassismus-Demonstranten

Die Oper, die dem Platz ihren Namen gibt, ist orangefarben angestrahlt, der Springbrunnen in der Mitte gelb, und rundherum herrscht ziemliche Leere. Vielleicht 300 Jugendliche und junge Erwachsene sitzen am Brunnenrand oder stehen in Grüppchen auf dem Platz, geschminkte Mädchen und Jungs im muskelbetonenden Shirt. Die Zahl der Wein- und Wodkaflaschen bleibt überschaubar, ein Scherzkeks hat zwei Träger Corona-Bier mitgebracht. Ungefähr genauso viele Polizistinnen und Polizisten stehen um den Platz herum, den Helm vor der Brust und den Schlagstock an der Seite. Dazwischen gehen die vielen Journalisten umher, die hier den Altersschnitt heben, und suchen nach Interviewpartnern. Wer war dabei in der Krawallnacht und kann was erzählen?

Gewaltfrei gegenüber: Polizisten und Demonstranten gegen Racial Profiling am Samstag vor der Alten Oper. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Der 19-jährige Michael Wegglin war dabei und doch nicht dabei. Sein Zwillingsbruder und die Kumpels hatten sich abends ins Auto gesetzt und waren aus der Nähe von Karlsruhe nach Frankfurt gefahren. "So was Geiles wie hier gibt es nirgendwo", sagt der Abiturient, tanzen und Party, "da vergesse ich Corona", dieses Virus, das einem das Feiern versaut und vielleicht die ganze Zukunft. Nach Mitternacht sind sie wieder gefahren, "da war die Stimmung super". Und groß war der Schrecken, als sie am Morgen aufs Handy schauten. So erzählen es auch Ahmad Ganouf und Halim Lagmouch, beide 20, die aus Hanau kommen. Dass nun um Mitternacht Schluss sein soll und die Polizei massiv vertreten ist, finden sie doof, aber verständlich: "Da musste was passieren", sagt Ahmad Ganouf, macht eine Pause, lacht ungläubig und sagt: "Hey, ich hab die Polizei verteidigt!"

Ein paar Idioten hätten die schöne Party kaputtgemacht, das ist die ganz überwiegende Meinung auf dem Platz. So sehen es Kim und Mia, Zoe, Carolin und Annouh, die 16-Jährigen, die von Bad Homburg heruntergefahren sind, um sich ein Bild von dem Platz zu machen, von dem sie so viel gelesen haben, und nun eng aneinandergedrängt am Brunnenrand sitzen. Isan Boucachna ist mit 18 der älteste der Clique, die Basecap trägt er mit dem Schild nach hinten. Hat nicht doch auch die Debatte über rassistische Polizeigewalt dazu beigetragen, dass die Stimmung so gegen die Polizei kippte? "Das ist schon ein Problem", sagt er. Und dass er helfen wolle, das zu ändern: Er hat gerade die Aufnahmeprüfung für den Polizeidienst bestanden. "Mein Kindheitstraum", sagt er und blickt zu der Gruppe Bereitschaftspolizisten hinüber, die im Schatten der Bäume steht.

Aus einer einsamen Box wummern ein paar Beats, doch Tanzstimmung kommt nicht auf, auch wenn sich der Platz gegen halb zwölf füllt mit Neugierigen, die sehen wollen, was jetzt passiert. Die Stimmung wird angespannter, "jeder ist hier gegen die Polizei!", ruft einer. Am östlichen Ende des Platzes blinkt es gelb, Besenwagen warten auf ihren Einsatz. Und dann ist die Prominenz da: Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der aus dem Urlaub zurück nach Frankfurt geflogen ist, gemeinsam mit dem Sicherheitsstadtrat Markus Frank (CDU) und dem Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill. Wenn das Gewaltmonopol des Staates "von einigen in Frage gestellt wird, muss die Staatsmacht die Grenzen" aufzeigen, hat Feldmann der Bild gesagt. Jetzt sagt er, dass die Leute das hier auf dem Platz auch verstanden hätten. Und dass er hoffe, dass es so friedlich bleibe.

Und dann ist sie da, die Gruppe junger Frauen und Männer; verschiedene Antifa- und Antirassismusgruppen haben über die sozialen Medien aufgerufen, zum Opernplatz zu kommen. Sie sind vorschriftsmäßig maskiert, im Gegensatz zu den meisten anderen hier. Sie stören das Interview, das Sicherheitsstadtrat Frank gerade gibt: "Das ist nicht cool, wenn migrantische Kinder kontrolliert werden!" Frank gibt zurück, dass er sich freue über die Kontrollen. Die Gruppe zieht weiter zum Oberbürgermeister: "Hier werden auch Kinder und Frauen gefilzt und müssen sich teilweise ausziehen!" Ihr zorniger Vorwurf, der den ganzen Abend über auch auf zahlreichen Tweets geäußert wird: Die Polizei habe willkürlich und ausschließlich vermeintlich migrantisch aussehende Menschen kontrolliert. Er sei auch gegen Racial Profiling, sagt Feldmann mit leiser Stimme, aber die Polizei müsse nun einmal Gewalt verhindern. Was die Protestierer noch mehr empört: Die Gewalt sei doch nur eine Reaktion auf den Rassismus der Polizei. Es ist ein bärtiger Mann im schwarzen Shirt, der die Situation rettet: Azfar Khan, Referent im Dezernat für Integration und Bildung. "Ich bin heute auch schon zweimal kontrolliert worden - aber so kommen wir hier nicht weiter", sagt er. Man müsse miteinander reden.

Um Mitternacht tönt aus den Polizei-Lautsprechern die Allgemeinverfügung, dass nun der Platz nicht mehr zu betreten sei. Das Technische Hilfswerk ist mit blauen Lastwagen auf den Platz gefahren und fährt Lampenmasten hoch, gleißendes Licht flutet den Platz. Drei Allgemeinverfügungsverlesungen später hat er sich sichtlich geleert, ein einsamer Flaschensammler dreht seine Runde. Um kurz vor ein Uhr ist das Experiment aus Sicht der Stadt gelungen. Feldmann dankt den Polizisten. Die Feiernden verziehen sich ans Mainufer, die Mächtigen der Stadt ins Bett.

Am Samstag wiederholt sich das Ritual: Ein massives Polizeiaufgebot, viele Kontrollen, ein weitgehend leerer Opernplatz - die Party findet längst woanders statt. Spätabends um elf Uhr startet dann eine Antirassismus-Demo der Antifa. Gemeinsam mit Feldmann kommt sie auf dem Opernplatz an, wieder geht der Streit los, ob eine durch und durch rassistische Polizei Racial Profiling betreibe, wie das die Demonstranten lautstark vorbringen - oder ob die Polizeipräsenz notwendig ist, um Gewalt zu verhindern, wie der Oberbürgermeister dagegenhält. Zwischendurch wird die Stimmung aggressiv auf dem Platz, Feldmann muss durch einen Ring von Polizisten geschützt werden. Doch dann endet der Abend wie der vorige: Die Allgemeinverfügung erklingt aus dem Lautsprecher, das Licht geht an, um ein Uhr ist der Platz leer, es ist alles ohne Gewalt abgegangen.

"Erleichtert bin ich, wenn es morgen und auch am nächsten Wochenende friedlich bleibt", hat Feldmann am Freitagabend gesagt. "Bis dahin mache ich mir Sorgen."

© SZ vom 27.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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