Fragen und Antworten:Ich weiß etwas, was du nicht weißt

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Fotos: dpa, AFP, Collage: Stefan Dimitrov (Foto: Dimitrov)

Maaßen hat sich vor seinen Äußerungen zum "Hase"-Video mit dem Innenministerium abgesprochen.

Von Ronen Steinke

Also mal kurz zusammengefasst. Der Verfassungsschutzpräsident hat Zweifel an der Darstellung der Kanzlerin, die von einer "Verfolgung unschuldiger Menschen" durch Rassisten in Chemnitz gesprochen hat. Der Verfassungsschutzpräsident informiert die Kanzlerin jedoch nicht. Stattdessen wendet er sich an die Bild-Zeitung. Und dort legt er nahe: Diejenigen, die von einer "Hetzjagd" ausgehen würden, seien auf ein Fake hereingefallen. Ein im Internet zirkulierendes Handyvideo, das Jagdszenen in Chemnitz zeigt, sei nicht "authentisch". Begründungen? Bleibt Maaßen zunächst schuldig. So türmen sich seither die Fragen auf, auch bei Sicherheitsbeamten. Intern werden die Abläufe jedoch allmählich klarer.

Was weiß Maaßen über das "Hase-Video", das andere nicht wissen?

Das Video kommt aus trüber Quelle. So viel ist unbestritten. Ein Nutzer namens "Antifa Zeckenbiss" hat den wackeligen Film (bekannt als "Hase-Video", weil im Off eine Frauenstimme sagt: "Hase, du bleibst hier") am Abend des 26. August bei Youtube hochgeladen. Von einer linken Gruppe dieses Namens haben maßgebliche Verfassungsschützer in den Bundesländern bisher nie etwas gehört. Es ist ein Rätsel, wie das Video, das offenbar aus der jagenden, fremdenfeindlichen Gruppe heraus aufgenommen wurde, in die Hände einer realen Antifagruppe gelangt sein soll. Bei Twitter existiert der Account "Antifa Zeckenbiss" erst seit Februar. Bei Youtube postet er erst seit drei Wochen.

Ungewöhnlich ist, wie diese Social-media-Auftritte gestaltet sind. In der sonst um Szenedistinktion und Coolness bemühten Antifa-Jugendkultur ist ein mit geringstem Aufwand aus Clipart ("Stop racism" auf einem Stoppschild) zusammengestückeltes Design selten. Als Maaßen per Bild Zweifel an dem Video aufbrachte, verteidigte sich "Antifa Zeckenbiss" umgehend via Twitter: Alles sei echt, das Video sei "ein Netzfund". Man habe es aus "einer patriotischen Gruppe" gezogen. Patriotisch - das ist ganz und hat nicht die übliche Wortwahl von Antifas, wenn es um ihre politischen Gegner geht. Auch wurde in dieser "Zeckenbiss"-Erklärung das Opfer der Jagdszene, der Gejagte, zum "Gejagten" in Anführungszeichen.

Gut möglich also, dass hinter "Zeckenbiss" jemand anderes steckt. Mit welchem Interesse auch immer. Aufheizen der Situation? Möglich auch, dass Maaßen - zu dessen Aufgaben das Beobachten von manipulativen Netzwerken gehört - über Wissen verfügt, das er bislang nicht offenlegt. Aber das ändert andererseits nichts daran, dass der Inhalt des Videos echt ist. Zwar soll es auch in Sachsen, wo die Ermittlungen dazu geführt werden, anfangs Zweifel am Inhalt des Films gegeben haben. Bei einer Besprechung im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) von Bund und Ländern in Köln-Meckenheim soll der Vertreter des sächsischen Landeskriminalamts zunächst auf die trüben Umstände hingewiesen haben. Die Ermittler in Sachsen waren aber vorsichtig genug, erst das Video zu prüfen, Zeugen zu hören. Für ein Fake spricht nichts. In einer Telefonkonferenz mit allen 16 Landesämtern für Verfassungsschutz am vergangenen Montag, bei der Maaßen sich von einem Abteilungsleiter vertreten ließ, soll davon auch mit keinem Wort die Rede gewesen. Von Maaßens Statement in der Bild hinterher waren die Teilnehmer überrascht.

Verbreitete Maaßen seine Theorie mit dem Segen Seehofers?

Maaßen war lange abgetaucht in diesem Sommer. Die Kritik an seinem Verhalten gegenüber der AfD - er soll ihr allzu nachgiebig begegnen, sogar "wohlgesonnen", behauptet eine AfD-Aussteigerin - hat Maaßen in seinem Spanienurlaub verfolgt, aber alle Interviewanfragen abgelehnt. Bevor er sich jetzt mit deutlichen Worten in der auflagenstärksten Zeitung des Landes zurückmeldete - und zugleich das Thema wechselte -, sprach er sich mit dem Bundesinnenministerium ab. Das hat Horst Seehofer bestätigt. Er habe gewusst, dass da was kommt. Aber was? Das habe er so genau nicht gewusst. Im Bericht aus Berlin der ARD bemühte er sich am Sonntagabend um Vorsicht. Er wisse auch nicht so genau, worauf Maaßen mit seinen Worten anspielte. Maaßen sei nun "um Bericht gebeten" worden.

Bis Montag. In Seehofers Ministerium hätte man gewiss auf die Aufregung der vergangenen Tage verzichten können. Andererseits will man auch nicht unfair sein gegenüber Maaßen, so lassen sich die Signale seit Freitag deuten. Maaßen hat versucht, für Team Seehofer ein Tor zu schießen, indem er dem öffentlich mit der Bundeskanzlerin streitenden Innenminister beigesprungen ist bei dessen Bewertung der Geschehnisse in Chemnitz. Der Schuss mag daneben gegangen sein. Aber jedenfalls nicht deshalb, weil er Seehofer hätte schaden wollen.

Wackelt jetzt Maaßens Stuhl?

Rücktrittsforderungen, schön und gut. Sie kommen aus der SPD, den Grünen, der FDP und der Linkspartei. Also aus Parteien, die Maaßen nie sehr geschätzt haben und die bei Personalentscheidungen des CSU-Innenministeriums denn auch nicht mitreden. Im Parlament wird sich Maaßen am Mittwoch erklären müssen, sowohl zu den Vorgängen um die AfD als auch zu seinen Behauptungen zu Chemnitz. Die Sitzung des Innenausschusses ist nicht öffentlich. Sie soll um 18.30 Uhr beginnen. Dabei stehen die Sterne bei Weitem nicht so ungünstig für Maaßen, wie manche meinen.

Vorsitzende des Ausschusses ist die CSU-Politikerin Andrea Lindholz. "Ich glaube immer noch, dass Maaßen gute Gründe hat, und warte darauf, dass er das am Mittwochabend überzeugend darlegt", sagte sie am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. Die Aufgabe, die Lindholz dem Verfassungsschutzpräsidenten stellen möchte, klingt lösbar. Es gehe um Kommunikation. "Die Bürger sind verunsichert vom Kommunikationsverhalten der vergangenen Tage, und ich erwarte, dass man innerhalb der Bundesregierung und auch im Verhältnis zu den Sicherheitsbehörden zu einer abgestimmten Bewertung kommt, die Klarheit schafft." Es wird ein langer Tag werden für Maaßen, denn in den Stunden zuvor wird er auch schon den neun Mitgliedern des geheim tagenden Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag Rede und Antwort stehen müssen. Dort wird ihm, wie schon im Innenausschuss, der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka gegenübersitzen. Gemeinsam mit der sächsischen SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe, die auch Bundestagsabgeordnete ist, arbeitet er an einer Liste aller Augenzeugenberichte und Videos über Zwischenfälle im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Chemnitz. Öffentlich äußern wird sich das Gremium, seinen Regeln entsprechend, aber nur in breitem Konsens. Den Vorsitz führt der CDU-Politiker und ehemalige Bundespolizist Armin Schuster, der wie Maaßen zu Merkels Kritikern zählt.

Am Vorabend kann Maaßen sich in Berlin noch viel Glück wünschen lassen von vielen Beamten im Sicherheitsapparat. Am Dienstagabend kommen im Schloss Charlottenburg Hunderte von ihnen zusammen, zum traditionellen Herbstempfang der Sicherheitsbehörden. Maaßen ist einer der Gastgeber und begrüßt am Eingang jeden einzeln per Handschlag.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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