Der Vater des Fotos "Tank Man": Fotojournalist Jeff Widener im Jahr 1989 in Peking (links, zusammen mit seinem Kollegen Liu Heung Shing) ...
(Foto: AFP)In der Partei setzen sich danach die Hardliner durch, sie wollten den Protest beenden, notfalls mit Gewalt. Ministerpräsident Li Peng verhängte am Abend des 19. Mai den Ausnahmezustand in Peking. Über Hongkong reiste Widener nach China ein. An der Grenze hatte er Glück, die Beamten filzten ihn nicht, dabei hatte er jede Menge Equipment dabei: Kameras, Filme, die Geräte zur Fotoübertragung. "Gerade als ich dran war, hat eine Frau angefangen zu zetern, sie wollte ein lebendes Huhn über die Grenze bringen", sagt Widener.
...und heute, 57 Jahre alt
(Foto: AFP)In Peking war er dann jeden Tag unterwegs, er fuhr mit dem Fahrrad vom Büro der Nachrichtenagentur hinüber zum Platz. Dort ging es friedlich und geordnet zu, gegen Mittag stellten sich die Studenten zum Essen an, wie in der Mensa.
Doch plötzlich, in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni, rollten die Panzer, die Armee rückte vor und nahm den Platz ein. Mitten im Getümmel Jeff Widener. Er machte etliche Fotos. Dann sah er einen Mann, der Feuer gefangen hatte und sich am Boden wälzte. 60 Sekunden dauerte es, bis der Blitz wieder genug Energie hatte. Er hob die Kamera, schon spürte er den Schmerz. Ein Student hatte einen Stein geworfen, Widener blutete - schwere Gehirnerschütterung. Die Kamera, sie war kaputt, doch sie hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
Geweckt vom Rasseln der Panzerketten
Am 4. Juni schlief Jeff Widener den ganzen Tag; sein Kopf schmerzte erbarmungslos. Am 5. Juni meldete er sich trotzdem zum Dienst, er solle den Platz von oben fotografieren, lautete der Auftrag, also machte er sich auf Weg zum Beijing Hotel, an der Chang'an Avenue. Wenn der Platz des Himmlischen Friedens der größte Platz der Welt ist, dann ist die Chang'an Avenue, die an der Nordseite des Platzes vorbeiführt, die verkehrsreichste Straße der Welt - zehnspurig auf beiden Seiten.
Um ins Hotel zu kommen, sprach Widener einen jungen Mann in der Lobby an. "Hallo Joe, wo bist du gewesen?", habe er gefragt, erzählt Widener. Und flüsterte ihm dann zu, er sei Journalist und suche einen Platz, um Fotos von oben zu schießen. Der Mann hieß Kirk Martsen, ein Student aus Amerika, und er bot ihm Hilfe an. Gemeinsam gingen sie auf Kirks Zimmer und von dort aufs Dach des Hotels. Zurück im Hotelzimmer warf sich Widener aufs Bett, sein Kopf schmerzte noch immer.
Später am Vormittag des 5. Juni weckte ihn das Rasseln von Panzerketten. Vom Balkon im sechsten Stock des Hotels aus konnte Widener einen Mann mit Einkaufstüte sehen, der gerade auf die Straße getreten war. Die Panzer stoppten. Widener griff zu seiner Kamera. "Ich beschwerte mich bei Kirk, dass dieser Mann mir meine gesamte Komposition versaut", sagt Widener. Kirk schrie: "Sie werden ihn töten!" Mit der Kamera im Anschlag wartete Widener nun darauf, dass sie den Mann niederschießen würden. Doch genau das passierte nicht.
Der Mann kletterte auf den ersten Panzer und klopfte an die Luke. Währenddessen holte Widener sein Teleobjektiv und montierte es. Der Mann war inzwischen vom Panzer geklettert und wandte sich noch einmal um. Widener drückte auf den Auslöser. Später am Nachmittag schmuggelte Kirk den Film in seiner Unterhose zurück ins AP-Büro. Von dort ging das Foto um die Welt.
Das Massaker begleitet Widener noch immer
Und hat seither auch einen Namen: Tank Man - Panzermann. Genaugenommen gibt es mehrere Aufnahmen des Tank Man. Doch Wideners Foto ist jenes, das immer wieder gedruckt wird. Man erkennt es an den Straßenlampen unten rechts. Wie Widener haben damals noch drei Fotografen die Szene festgehalten. Einer arbeitete für ein Magazin, ein weiterer für eine kleine Agentur.
Der dritte fotografierte für Reuters, den Konkurrenten von AP. Auch er übermittelte den Tank Man, doch der Fotoredakteur in Hongkong erkannte die Brisanz des Fotos nicht, er stellte die Panzeraufnahmen ohne Tank Man in den Dienst. Als tags darauf Wideners Foto auf den Titelseiten fast aller großen Zeitungen der Welt erschien, legte Reuters nach, doch zu spät. Das Tank-Man-Foto hatte Widener geschossen. "Für mich ist Tank Man wie der Unbekannte Soldat. Er steht für alle, die gegen die Unterdrückung kämpfen und an die grundlegenden Menschenrechte glauben", sagt Widener.
Eine Woche nach dem Massaker war sein Auftrag in Peking beendet. Die Erlebnisse begleiten ihn jedoch noch immer. Er hat Sterbende und Tote gesehen. Lange Zeit haben ihn laute Geräusche aufgeschreckt, sie erinnerten ihn an die Schüsse, die damals auf dem Platz fielen.
Zum 20. Jahrestag des Massakers flog ihn die BBC zurück nach Peking. Auf der Chang'an Avenue, unweit der Stelle, wo der Tank Man die Panzer stoppte, saß eine junge deutsche Lehrerin und rauchte eine Zigarillo. Sie kamen ins Gespräch. Heute leben sie gemeinsam in Hamburg, verheiratet. Sie unterrichtet, er sortiert sein Archiv und bereitet Ausstellungen vor.