Folgen:Wenn die Zöllner zurückkehren

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SZ-Grafik; Quelle: Office for National Statistic (Foto: a)

Längere Lieferzeiten und teureres Lammfleisch: Welche Auswirkungen der Brexit haben kann.

Von Björn Finke, Cerstin Gammelin und Michael Bauchmüller

Martin Schäfer lässt seine rechte Hand etwa 30 Zentimeter über der Tischplatte schweben. Mindestens so hoch, sagt der Sprecher des Auswärtigen Amtes, sei der Papierstapel voller Regelungen, die nun zu verhandeln seien. Ob der Austritt Großbritanniens aus der EU 40, 50 oder 60 Milliarden Euro koste, sei das kleinere Problem. Wichtiger sei, alles zu klären, was zu Unsicherheiten bei Bürger und Unternehmen führe. "Damit fangen wir jetzt an", sagt Schäfer. Einiges, was in Frage steht, zeigt die folgende Übersicht.

Was müssen Deutsche und andere EU-Ausländer befürchten, die in Großbritannien leben?

Bisher leiten sich aus dem Status als EU-Bürger vielfältige Rechte für Aufenthalt und Arbeit in anderen Mitgliedstaaten ab. Die könnte London mit dem Brexit einschränken, ebenso wie Brüssel die Rechte von Briten. DGB-Chef Reiner Hoffmann fordert, bei den Verhandlungen substantielle EU-Arbeitnehmerrechte zu schützen und das uneingeschränkte Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit festzuschreiben. "Auch deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein vitales Interesse daran, dass sich Großbritannien nicht zu einem Billiglohnland entwickelt", sagt Hoffmann. Das wäre der Fall, wenn der Arbeitnehmerschutz auf der Insel deutlich gelockert wird. Britische Unternehmen fürchten andererseits Fachkräftemangel, sollte es schwerer werden, EU-Bürger ins Land zu holen und anzustellen.

Muss Berlin mehr an die EU überweisen, wenn der Nettozahler London wegfällt?

Nicht unbedingt. Die EU der 27 könnte auch künftige EU-Haushalte auf rund ein Prozent ihres gemeinsamen Bruttosozialproduktes begrenzen. Dann blieben die Einzahlungen aller Staaten relativ gleich. Oder aber, die EU teilt sich den britischen Beitrag auf - dann zahlt auch Deutschland mehr in den EU-Haushalt ein.

Was bedeutet der Austritt für den Handel zwischen den Briten und der EU?

Industrielobbyist Dieter Kempf fürchtet, dass es schwierig wird, "negative Folgen insbesondere für die Unternehmen im Vereinigten Königreich abzuwenden". Die EU ist deren wichtigster Markt. 44 Prozent der Exporte gehen von der Insel in die EU. Der Präsident des deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, erwartet, dass der Brexit den Geschäften deutscher Unternehmen mit dem Vereinigten Königreich "erheblich schaden" wird. Bereits in den nächsten Monaten rechnet er mit Rückgängen beim Handel. Vier von zehn Unternehmen erwarten schlechtere Geschäfte. Fast jedes zehnte deutsche Unternehmen plant bereits, Investition von der Insel zurück aufs Festland zu verlagern. Wichtig wird sein, dass sich London und Brüssel auf einen Freihandelsvertrag einigen. Andernfalls würden Exporte von 2019 an den Regeln der Welthandelsorganisation unterliegen - mit happigen Zöllen.

Welche Folgen hat der Austritt aus der europäischen Zollunion?

Kunden müssten länger warten, wenn sie Waren bestellen. Auch die Industrie leidet. Zöllner an den Grenzen müssten die Ladung von Lastwagen kontrollieren, etwa in den Häfen von Calais und Dover. In den britischen Autowerken stammt mehr als die Hälfte der Zulieferteile aus dem Ausland. Die Fabriken sind also auf steten zuverlässigen Nachschub angewiesen. Zollkontrollen stellen dieses Modell in Frage.

Warum werden auch deutsche Landwirte den Brexit spüren?

Der Austritt beschert britischen Landwirten große Unsicherheiten. Die Subventionen der EU fallen weg, damit verlieren sie 55 Prozent ihrer Einnahmen. Zugleich werden Exporte aufs Festland teurer. Zuletzt gingen 95 Prozent des britischen Lammfleischs in die EU. Aber auch deutsche Landwirte werden die Folgen spüren. Deutschland schickt mehr Lebensmittel auf die Insel als umgekehrt. Bei steigenden Preisen wird das nicht mehr möglich sein.

Was ist mit anderen Politikbereichen wie Verteidigung oder Atompolitik?

In Großbritannien geht der EU eines von zwei Mitgliedsländern verloren, die über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat verfügen. Damit verlieren die EU-Staaten Einfluss. Grundsätzlich bleibt London ihnen aber über die Nato als Partner verbunden. London hat im Brexit-Brief zudem erklärt, dass es aus dem Euratom-Vertrag aussteigt. Dieser regelt Europas Zusammenarbeit bei der Kernkraft, etwa bei der Versorgung mit Brennstoffen. Aber auch hier bleibt Großbritannien in Gremien, die den Austausch der Aufsichtsbehörden sichern.

Wie bereitet sich die Bundesregierung auf den Brexit vor?

Als größter Nettozahler der EU will Deutschland die Verhandlungen maßgeblich mitbestimmen. Brexit ist Chefsache, zuständig im Kanzleramt ist Europa-Berater Uwe Corsepius. Der Kabinettsausschuss "Brexit" soll kommende Woche erstmals tagen. Daneben gibt es einen ressortübergreifenden Arbeitsstab. Die Fachministerien haben ihre Forderungen für die Verhandlungen zusammengetragen.

Wieso läuft die britische Wirtschaft weiter so gut?

In diesem Jahr soll die britische Wirtschaft um zwei Prozent wachsen. Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie zuletzt vor elf Jahren. Dass die Konjunktur auf der Insel so robust ist, liegt vor allem an den Verbrauchern. Volkswirte und Regierung erwarten, dass die Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen die Kauflaune schwächen wird.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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