Folgen für Stuttgart :Stress im Kessel

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Lärm, Dreck und Wohnungsnot - die baden-württembergische Landeshauptstadt leidet unter den Verzögerungen.

Von Josef Kelnberger

Fritz Kuhn, der Stuttgarter Oberbürgermeister, kam diese Woche wieder auf die Eidechsen zu sprechen. Auf die fast 1900 Mauereidechsen aus Ober- und Untertürkheim, denen die Stadt in diesem Jahr auf die Schnelle eine neue Heimat auf der Feuerbacher Heide geschaffen hat. Man hat die Fläche mit Steinen aufgefüllt, damit die geschützten Tiere sich wohlfühlen - und der geplanten Trasse von Stuttgart 21 nicht mehr den Weg versperren. Die Stadt tue alles, um den Bau zu beschleunigen, darauf legt Kuhn größten Wert. Deshalb sprach der Grüne von einem "schlechten Tag für Stuttgart", als er auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz die neuesten Verzögerungen und Kostensteigerungen kommentierte.

Schlecht für Stuttgart: Das ist vor allem die Tatsache, dass sich in der von Wohnungsnot geplagten Metropole der Bau von mehr als 7000 Wohnungen verzögert. Sie sollen auf dem Gelände entstehen, das nach Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs durch den Abbau der oberirdischen Gleisanlagen frei wird. Im Projektvertrag ist als Termin für die Übergabe das Jahr 2021 angepeilt. Nun also 2024, frühestens. Die Stadt hat einen Ideenwettbewerb für die Gestaltung des neuen "Rosenstein-Quartiers" ausgerufen. Architekten und Stadtplaner sind für das Jahr 2018 aufgerufen, Vorstellungen einzureichen, aus denen der Bebauungsplan entwickelt werden soll. Im Jahr 2027 wollen Stadt und Region Stuttgart eine Internationale Bauausstellung ausrichten, das neue Quartier sollte ein Musterbeispiel für fortschrittliches Bauen sein, so der Plan. Nun steht in den Sternen, ob davon irgendetwas zu sehen sein wird.

Um ein neues Stadtviertel zu gewinnen, haben die früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und Wolfgang Schuster den Bau des Tiefbahnhofs einst befürwortet, deshalb beteiligt sich die Stadt mit 300 Millionen Euro. Stuttgart 21 sei nicht zuletzt ein städtebauliches Projekt, argumentiert nun die Bahn, deshalb müsse sich die Stadt auch an den zusätzlichen Kosten beteiligen. Kuhn bekräftigte am Mittwoch noch einmal: Das komme nicht infrage.

Ein solches Desaster - und das in der Stadt der Tüftler

In der täglichen Zusammenarbeit allerdings haben die Bauherrn und die Stadt zu einem guten Miteinander gefunden; auch die als Projektgegner bekannten Grünen würden nicht mehr bremsen, ist aus Bahnkreisen zu hören. Fritz Kuhn hat als Motto vorgegeben, es dürfe nicht hinter jedem Bagger ein Jurist stehen. So schnell wie möglich soll vorübergehen, was Kuhn "Stress für die Stadt" nennt: Lkw-Verkehr, Staub und Dreck, Baulärm. Sprengungen und Rammarbeiten, die den Stuttgarter Kessel durchschütteln und die Nachtruhe stören. Die Geduld der Bürger ist endlich. Und das Image der Stadt leidet.

Menschen, die mit dem Zug in Stuttgart eintreffen, werden nun bis mindestens 2024 über die Baugrube hinweg auf provisorischen Rampen zum Bahnhofsgebäude gelangen. Die schnelle Anbindung an den Flughafen, nur noch acht statt bislang 27 Minuten, lässt noch länger auf sich warten. Die vermeintliche Hauptstadt der Tüftler und Ingenieure steht da als ein Ort, der unfähig ist, einen Bahnhof zu bauen, obwohl genau genommen ja bei dem Projekt die Bahn als Bauherrin fungiert. Die Schwaben in einem Atemzug mit den Berlinern und ihrem Flughafen-Fiasko zu nennen, ist das Schlimmste, was man Stuttgartern antun kann.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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