Flüchtlingsgipfel:Neue Notlage

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Mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind jetzt in Deutschland registriert: Eine Frau verlässt mit ihrem Kind einen Zug aus Saporischschja. (Foto: Omar Marques/Getty Images)

Auch wenn die Kommunen noch so klagen: Der Bund verspricht vorerst kein weiteres Geld für die Unterbringung und Versorgung der zuletzt zahlreich angekommenen Syrer, Afghanen und Iraker - dafür ein aber ein paar andere Dinge.

Von Nina von Hardenberg

Es ist nicht so, als wären die Länder und Kommunen nicht auf neue Flüchtlingsströme vorbereitet gewesen. 28 Unterkünfte mit insgesamt 9000 Plätzen hat etwa das Land Berlin seit 2016 für Geflüchtete gebaut. 48 sollen es mal werden, wenn alles fertig ist. Wohnheime sind das und auch Anlangen mit Zwei- bis Sechszimmerwohnungen und Spielplatz vor der Tür. Die Neuankömmlinge können dort "vernünftig wohnen und die Sicherheit der eigenen vier Wände spüren", wie es der Pressesprecher des Berliner Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, Sascha Langenbach, formuliert. "Denn wer prekär lebt, verhält sich auch prekär, fängt nichts an, kämpft sich nicht durch einen Sprachkurs." Berlin wollte es da besser machen, baute neue Anlagen - und hat jetzt trotzdem längst nicht genug.

"In Wahrheit bräuchten wir 20 weitere", sagt Langenbach. Noch immer wohnten Geflüchtete in Containern, zum Teil seit fünf Jahren. Viele von ihnen dürften längst ausziehen, finden aber auf dem umkämpften Berliner Wohnungsmarkt schlicht keine andere Bleibe. So war es schon vor dem Krieg in der Ukraine. Seither aber sind zusätzlich Tausende Ukrainer nach Berlin gekommen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Asylbewerber vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Zusammen wurden im September so viele Menschen aufgenommen wie seit Februar 2016 während der europaweiten Flüchtlingskrise nicht mehr. "Wir sind voll", sagt Langenbach. Und: "Uns steht das Wasser bis zum Hals."

(Foto: SZ-Grafik: jje/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesinnenministerium)

Tatsächlich kommt der Großteil der Geflüchteten aus der Ukraine privat unter

So schlimm wie in der Flüchtlingskrise? Den Vergleich zu jenen dramatischen Monaten, als überall im Land Menschen in Turnhallen campierten, haben in den vergangenen Monaten auch Länder wie Baden-Württemberg und Bayern gezogen - vermutlich nicht ganz ohne Hintergedanken. Denn einerseits ist die Not angesichts von mehr als einer Million registrierten Ukrainern und noch mal weit mehr als 100 000 neuen Asylbewerbern vielerorts real. Hamburg, Dresden und Leipzig bauen bereits wieder Messehallen zu Massenunterkünften um. Anderseits kommt der Großteil der Geflüchteten aus der Ukraine immer noch privat unter. Nach Berlin etwa zogen bislang mehr als 70 000 Ukrainer. In Landesunterkünften aber wohnen nur 3000. Ganz vergleichen lässt sich die Situation also nicht.

Bund und Länder feilschen aber derzeit um die Frage, wer wie viel von den Kosten dieser Krise tragen muss. Zuspitzung gehört da zum Geschäft. Am Dienstag nun hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser Vertreter der Kommunen und der Länder zu einem Flüchtlingsgipfel geladen. "Wenn Sie die Ukraine und die weiteren Asylbewerber zusammenzählen, ist die Situation durchaus mit 2015 vergleichbar", klagte dort prompt der Leipziger Oberbürgermeister und derzeitige Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung. Die Innenministerin dagegen wollte sich auf diesen Vergleich nicht einlassen.

Sollten die Länder gehofft haben, dass die Ministerin auf diesem Treffen "das Scheckbuch aufklappt", wie es der bayerische Innenminister Joachim Herrmann formulierte, so wurden sie ohnehin enttäuscht. Über die Frage der Lastenteilung bei der Versorgung der Flüchtlinge würden Bund und Länder Anfang November verhandeln, erklärte Faeser. Bislang zahlt der Bund vor allem die Versorgung und Unterbringung der Ukrainer. Und springt für andere Flüchtlingskosten in diesem Jahr pauschal mit zwei Milliarden Euro ein. Die Länder fordern längere Planungssicherheit und vor allem auch eine konkrete Beteiligung an den Kosten der derzeit rasant steigenden Zahl von anderen Asylbewerbern. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte aber zuletzt darauf hingewiesen, dass die Unterbringung der Geflüchteten eigentlich Ländersache sei.

Ganz ohne Zusagen wollte Faeser den Flüchtlingsgipfel aber offenbar auch nicht enden lassen. Der Bund werde zusätzlich zu den bereits angebotenen 300 Immobilien weitere 56 - und damit etwa 4000 zusätzliche Plätze - für die dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen bereitstellen, verkündete Faeser. Außerdem versprach sie, die Länder künftig aufs Genaueste über alle Details des Krieges und der Fluchtbewegung zu informieren. Zudem soll eine neue digitale Plattform für Bund, Länder und Kommunen geschaffen werden, über die man gegenseitig verfügbare Wohnungsangebote einsehen könne.

Dem bayerischen Innenminister und Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Joachim Herrmann (CSU), war das erwartungsgemäß zu wenig. Es sei höchste Zeit, dass der Bund endlich klarmache, welche weitere Flüchtlingskosten er zu tragen gedenke, sagte Herrmann. Einig waren sich Faeser und Herrmann dagegen bei einem anderen Ziel. Den weiteren Zuzug von Asylbewerbern aus europäischen Nachbarländern wollen sie möglichst verhindern. Zuletzt waren verstärkt Flüchtlinge etwa aus Syrien über die Balkanroute, aber auch über das Mittelmeer nach Deutschland gekommen. Auch diese Menschen fliehen vor dem Krieg in ihrer Heimat und erhalten in der Regel in Europa Zuflucht. Nach den europäischen Verteilregeln müssten sie aber ihren Asylantrag in den europäischen Nachbarländern stellen, über die sie in die EU einreisen.

(Foto: SZ-Grafik: jje/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)

Wenn Deutschland die Grenzen dichtmacht, folgen andere auch

Weiterflucht innerhalb der EU will die Bundesregierung verhindern. Sie baut dabei ganz offensichtlich auf Grenzkontrollen, obwohl diese im Schengenraum eigentlich nur in Ausnahmefällen erlaubt sind. "Wir werden die Grenzkontrollen zu Österreich verlängern", sagte Faeser am Dienstag. An der Grenze zu Tschechien werde es zudem verstärkt Schleierfahndungen geben. Offiziell geht es dabei darum, Schlepperbanden das Handwerk zu legen. Denn Flüchtlinge, die an der Grenze um Asyl bitten, müssen grundsätzlich erst mal eingelassen und geprüft werden. Erst dann können sie in das für ihr Verfahren zuständige Land zurückgeschickt werden. Die verstärkten Kontrollen sollen Flüchtlinge wohl aber auch vom Weiterwandern abhalten. Ebenfalls um den Zuzug nach Europa zu bremsen, forderte Faeser die serbische Regierung auf, ihre Visapolitik zu ändern. Serbien hatte zuletzt relativ großzügig Visa in Nicht-EU-Staaten vergeben. Manche dieser Migranten wanderten dann von Serbien weiter in die EU.

Wenn Deutschland die Grenzen dichtmacht, folgen andere auch. Positiv bemerkten sowohl Faeser als auch Herrmann, dass Österreich und Tschechien nun wieder die Grenze zur Slowakei stärker schützen. Die Frage, ob Deutschland nicht Kriegsflüchtlinge aus Syrien genauso willkommen heißen solle wie solche aus der Ukraine, wischte Faeser beiseite. Es sei normal, das Flüchtlinge zunächst in den Nachbarstaaten Schutz suchten. Deutschland sei da bei der Ukraine in einer besonderen Verantwortung.

Gleichwohl stünde man zu humanitären Verpflichtungen etwa zur Aufnahme der Ortskräfte aus Afghanistan. Hier allerdings ist ihr Kollege aus Bayern etwas anderer Meinung. In Zeiten ohnehin bereits hoher Zugangszahlen noch zusätzliche Aufnahmeprogramme zu starten, sei das falsche Signal und führe zu einer Überlastung der Kommunen und der Sozialsysteme, klagte der bayerische Minister Herrmann.

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