Flüchtlingsgipfel:Beide Seiten feiern

Lesezeit: 2 min

Die SPD freut sich, dass sie "Haftanstalten" verhindert hat, die Union hat dafür eine verschärfte Residenzpflicht durchgesetzt. Man ist sich näher gekommen in Berlin.

Von C. Hickmann, R. Roßmann, Berlin

Wenn es irgendeine Fähigkeit gibt, die bei Sigmar Gabriel tendenziell unterausgeprägt ist, dann ist das die Fähigkeit, still in der Gegend herumzustehen und zuzuhören. Insofern hat der SPD-Vorsitzende am Donnerstagabend ein paar mutmaßlich harte Minuten zu überstehen.

Es ist eine Viertelstunde vor sieben, im Kanzleramt sind gerade Horst Seehofer, Angela Merkel und Gabriel an drei Rednerpulte getreten. Es gibt, nach Wochen und Tagen, in denen zunächst die CSU auf die CDU geschimpft hatte, bevor sich dann CDU und CSU gemeinsam gegen die Sozialdemokraten gewandt hatten, tatsächlich eine Einigung. Die gilt es nun zu verkünden, und wenn man Gabriel auch nur ein bisschen kennt, dann würde er jetzt am liebsten ins Mikrofon dröhnen: Keine Transitzonen! Keine Transitzonen! Aber, so will es die Hierarchie, nun ist erst mal die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende dran.

Die referiert in gewohnter Nüchternheit die Ergebnisse der Runde: Transitzonen soll es zwar nicht geben, dafür aber drei bis fünf besondere Aufnahme-Einrichtungen. Dort sollen Asylbewerber ohne Bleibeperspektive, also etwa solche aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, ein schnelles Verfahren bekommen. Das Verwaltungsverfahren, so heißt es im Kompromisspapier, solle "innerhalb einer Woche" abgeschlossen werden können, das "Rechtsmittelverfahren" in zwei Wochen. Die beiden ersten Einrichtungen soll es in Bamberg und in Manching geben.

Die Asylbewerber dürfen diese Einrichtungen zwar verlassen, aber nicht den Zuständigkeitsbereich ihrer Ausländerbehörde, also den Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in dem oder der sich ihre Einrichtung befindet. Damit ist beiden Seiten geholfen: Die SPD kann vermelden, dass sich die von ihr so genannten Haftanstalten erledigt haben, während die Union, speziell die CSU, auf die verschärfte Residenzpflicht pochen darf. Verstößt ein Asylbewerber dagegen, hat er keinen Anspruch auf Leistungen mehr, sein Antrag ruht. Im Wiederholungsfall wird er abgeschoben.

Einigung im zweiten Anlauf: Die drei Parteichefs Gabriel (SPD), Seehofer (CSU) und Merkel (CDU) am Donnerstagabend im Kanzleramt. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Helfen, ordnen und steuern - das müssen die Leitbegriffe sein, sagt Sigmar Gabriel

Die Kanzlerin zählt weiter auf, es gibt Verschärfungen beim Familiennachzug, außerdem müssen Flüchtlinge künftig einen kleinen Eigenanteil zu Sprach- und Integrationskursen beisteuern. Auch an diesen Punkten mussten offenkundig die Sozialdemokraten Zugeständnisse machen, um die Transitzonen vom Tisch zu bekommen. Am Ende sagt Merkel, man habe gezeigt, "dass wir es schaffen können und auch schaffen wollen". Und dann ist doch noch Sigmar Gabriel dran.

"Helfen, ordnen und steuern", so beginnt er, das seien die Leitbegriffe, an denen man sich orientiert habe. Nicht die Zahl der Flüchtlinge sei ja das Problem, sondern die Geschwindigkeit, in der sie kämen. Er erklärt dann, dass ja auch die SPD immer schon dafür plädiert habe, diejenigen schneller abzuschieben, die keinen Anspruch hätten hierzubleiben. Und dann sagt er den Satz, den er sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schon die ganze Zeit zurechtgelegt hat: Er sei dankbar, dass die SPD, um dieses Ziel zu erreichen, keine "komplizierten Verfahren" habe beschließen müssen, kein Landgrenzenverfahren, keine exterritorialen Einrichtungen "oder gar Haftanstalten", keine "Transitzonen". Übersetzt heißt das eben doch: Keine Transitzonen! Keine Transitzonen! Weshalb Gabriel, um die Form zu wahren, gleich noch anfügt, dass es ja, was das Ziel angehe, "nie eine Differenz gegeben hat".

Das wiederum kann Horst Seehofer natürlich nicht so stehen lassen, jedenfalls nicht ganz, weshalb er erklärt, dass man nie etwas vorgeschlagen habe, was mit "Haft" zu tun gehabt hätte. Außerdem, betont Seehofer, seien sich ja alle darin einig, dass man die Zahl der Flüchtlinge begrenzen oder reduzieren wolle. Und tatsächlich sagt das ja mittlerweile selbst die Kanzlerin. Allerdings nie so demonstrativ wie der CSU-Vorsitzende.

Dann ist es vorbei, Fragen sind nicht zugelassen. Obwohl viele Fragen offen bleiben - etwa die, wie man eigentlich in Afghanistan Schutzzonen schaffen will, in denen Menschen so sicher sind, dass sie nicht fliehen müssen. So hat es die Kanzlerin skizziert. Aber dazu ist die Bundeswehr mit ihrem derzeitigen Mandat schon lange nicht mehr in der Lage. Nicht nur hier wird die Koalition noch etwas konkreter werden müssen.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: