Flüchtlinge und Helfer:"Ich spüre häufig diese typisch deutsche Ungeduld"

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Zahra Hamede, ihr Ehemann, Herr Uli und die 15-Jährige Dunija im Wohnzimer. (Foto: Antonie Rietzschel; Bearbeitung SZ.de)

Warum geht Familie Hamede aus Afghanistan nicht öfter vor die Tür? Hat das was mit der Kultur zu tun? Ein Gespräch über Missverständnisse zwischen Helfern und Geflüchteten.

Protokoll von Antonie Rietzschel

Im Wohnzimmer der Familie Hamede in Harthausen bei München sitzt Ulrich Rauner. Die afghanische Familie sitzt auf der Couch in der einen Ecken, Ulrich Rauner auf der anderen - dazwischen: der Dolmetscher, ein Afghane, der schon länger in Deutschland lebt und mit bayerischem Akzent spricht. Ulrich Rauner ruft ihn immer dazu, wenn es komplizierter wird, so wie heute.

Seit fast einem Jahr kümmern sich Ulrich Rauner und seine Frau um die sechsköpfige Familie Hamede aus Afghanistan. Zahra Hamede, 50, und Abdulbasar Hamede, 57, besuchen regelmäßig einen Deutschkurs, doch die Sprache fällt ihnen schwer. Ulrich Rauner braucht die Kinder der Hamedes als Hilfe, vor allem die 15-jährige Tochter Dunija beherrscht die Sprache mittlerweile ganz gut.

Wie ist es den Hamedes in der neuen Heimat ergangen? Wie hat sich das Verhältnis zwischen Helfern und der geflüchteten Familie in den vergangenen Monaten verändert?

Zahra Hamede: Im Asylbewerberheim Vaterstetten, wo wir die ersten Monate in Deutschland verbracht haben, gab es am Anfang keine Unterstützung. Dann kam Herr Uli.

Ulrich Rauner: Die hatten so einen riesigen Stapel an Papieren, die mussten wir erstmal sortieren. Am Anfang ging es darum, bei der Übersetzung von Schriftstücken zu helfen. Auch so kleine Dinge, wie Informationsblätter von der Schule.

Abdulbasar Hamede: Dank Herrn Uli haben wir viel über Deutschland gelernt, beispielsweise die Mülltrennung. (Er macht eine Bewegung mit den Fingern, als hebe er ein Stück Müll auf und lege es irgendwo hin).

Die Rauners sind berufstätig. Um die Hamedes kümmern sie sich zusammen mit einen dritten Helferin. Sie tun das in ihrer Freizeit, bis zu vier Mal in der Woche. Häufig geht es um Orga-Kram. Die Rauners schreiben Entschuldigungen für die Schule. Sie begleiten Abdulbasar Hamede wegen seiner Magenbeschwerden regelmäßig zum Arzt, eines der Kinder hat außerdem Diabetes. Auf dem Couchtisch liegt der Lebenslauf, den die Frau von Ulrich Rauner für die älteste Tochter der Hamedes geschrieben hat. Gab es einen Moment, als die Hamedes dachten: Diese Deutschen, was wollen die jetzt von uns? Oder eine bestimmte Erwartung an die Rauners? Kulturelle Unterschiede, die es schwierig machten? Missverständnisse?

Ulrich Rauner: Ihr könnt da ehrlich und offen mit mir sprechen. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen, es ist ganz normal, dass man andere Ansichten hat.

Zahra Hamede: Wir sind so dankbar. Als wir nach Deutschland gekommen sind, wussten wir nicht, dass die Deutschen so hilfsbereit sind.

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Dolmetscher: Die sind jetzt natürlich diplomatisch. Sie wollen niemanden vor den Kopf stoßen. Vielleicht haben Sie ein Beispiel?

Ulrich Rauner: Also, ich hatte Bedenken bezüglich des Ramadans. Die Kinder haben alle gesagt, dass sie fasten wollen. Bei uns in der deutschen Denke ist das so: Die Schule hat Vorrang, deswegen müssen die Kinder fit sein, die Lernerei darf nicht leiden. Ich habe das damals auch angesprochen. Inzwischen haben wir aber verstanden, dass für sie der Ramadan sehr wichtig ist.

Zahra Hamede: Ja, wir haben einen anderen Glauben und wir befolgen unsere eigenen Regeln. Es ist meine Aufgabe, das auch meinen Kindern nahe zu bringen. Aber wir konnten die Bedenken nachvollziehen.

Die Rauners sind sehr direkt. Die Hamedes haben sich daran gewöhnt, obwohl sie es anders kennen.

Zahra Hamede: Bei uns zuhause ist es so: Wenn man jemanden nicht mag oder einen etwas stört, zeigt man das nach außen nicht so. Man ist trotzdem sehr höflich.

Die Hamedes öffnen sich langsam. Ulrich Rauner traut sich ein Thema anzusprechen, das ihn anscheinend schon länger beschäftigt. Er zögert, sucht nach Worten.

Ulrich Rauner: Mir fällt auf, dass besonders die Frauen auch bei schönstem Wetter immer in der Wohnung sitzen. Ich frage mich, warum das so ist? Liegt es daran, dass sie Muslime sind oder daran, dass sie sich nicht raus trauen?

Zahra Hamede fängt an zu lachen. Einen ängstlichen Eindruck macht sie nicht, wie sie da aufrecht auf der Couch sitzt, das Kopftuch lose um den Kopf geschlungen. Die fast schwarzen Augen mussten viel mit ansehen. Enthauptungen in Afghanistan zum Beispiel. Die Rauners haben das nicht direkt von Zahra Hameda erfahren. Sie spricht mit den Rauners nicht über ihre Erlebnisse - aber sonst gibt die 50-Jährige gerne den Ton an.

Zahra Hamede: Wir gehen in unserer Heimat nicht so oft raus, zumindest läuft man nicht ziellos durch die Gegend. Hier in Deutschland sind wir schon auch draußen. Aber es gibt im Dorf nicht viel zu sehen. Wir kennen mittlerweile jede Straße und jeden Baum. Um in die Stadt zu gelangen, brauchen wir zwei Stunden. Und dort kennen wir uns nicht gut aus.

Ulrich Rauner: Aber man kann sich doch in den Garten setzen bei dem schönen Wetter! Na ja - wir Deutschen sind schon sehr freiluftbegeistert. Ich und meine Frau, wir sind oft auf der Terrasse oder gehen radeln. Ehrlich gesagt, sind wir auch im Vergleich zu vielen anderen Deutschen eher Exoten, so viel, wie wir unterwegs sind. Da muss man schon fair sein.

Ulrich Rauner und seine Frau haben etliche Länder bereist und lange in der Entwicklungshilfe gearbeitet. "Fördern und fordern", so umschreibt Ulrich Rauner den Ansatz, der ihre ehrenamtliche Hilfe auszeichnet. Die Rauners finden, es ist an der Zeit, zu fordern.

Ulrich Rauner: Da ihr jetzt fast ein Jahr in Deutschland seid, wäre es schön, wenn ihr manche Aufgaben selbständig übernehmt. Wir wollen nur noch das Back-up sein. Bescheinigungen abholen oder mal zum Zahnarzt gehen, das schafft ihr auch alleine. Und wenn Zahra oder Abdulbasar nicht zum Deutschkurs gehen können, dann könnt ihr euch selbst entschuldigen. Sollte es irgendwo ein Problem geben, helfen wir gern.

Erschrockene Gesichter bei den Hamedes. Ulrich Rauner hat klare Vorstellungen, wie das künftig laufen soll.

Ulrich Rauner: Wir können da gerne gemeinsam einen Plan schreiben, wer welche Aufgaben übernimmt. In einem Familiengespräch könntet ihr euch jede Woche besprechen. Es darf aber nicht sein, dass alles an Dunija hängen bleibt.

Zahra Hamede: Wir verstehen das. Aber ich und mein Mann, wir sprechen nicht so gut Deutsch.

Abdulbasar Hamede: Wenn ich zum Arzt gehe, verstehe ich nicht, was er zu mir sagt.

Ulrich Rauner: Wir werden auch weiterhin versuchen, bei wichtigen Terminen dabei zu sein. Aber sag mal, das mit dem Magen hat vielleicht auch was mit dem afghanischen Essen zu tun, das ist doch so fettig.

Abdulbasar Hamede: Wir achten da schon stärker drauf - aber es bringt trotzdem nichts.

Der Dolmetscher schreibt dem Familienvater ein Mittelchen auf, das helfen soll. Irgendwie sind sie vom eigentlichen Thema abgekommen.

Ulrich Rauner: Ich habe überhaupt kein Helfersyndrom. Ich spüre allerdings häufig diese typisch deutsche Ungeduld. Bevor ich etwas groß erkläre, mache ich es selbst. Aber es wird langsam alles zu viel und man verhindert, dass sie selbständig werden. Ich habe viel Zeit investiert und möchte, dass das weiter gut läuft. Vielleicht klappt es ja. Und wenn nicht, dann ist es eben so. Keiner sagt, dass meine Art, Probleme zu lösen, die Richtige sein muss.

Die Rauners haben nicht vor, komplett aus dem Leben der Hamedes zu verschwinden. Dafür ist ihnen die Familie zu sehr ans Herz gewachsen. Künftig wollen sie ihre Hilfe verlagern, künftig soll es mehr um die Zukunft der Familie gehen. Aktuelles Diskussionsthema ist die schulische Entwicklung von Dujinia. Bisher ging sie in eine Deutschförderklasse.

Dunija Hamede: Ich war sehr gut. Ich will da auch bleiben.

Ulrich Rauner: Ich würde mir wünschen, du würdest eine reguläre achte Klasse besuchen.

Dunija Hamede: Aber das wird sehr schwer für mich.

Ulrich Rauner: Dafür hättest du mehr Kontakt zu Deutschen. Und du lernst nicht nur Deutsch, sondern hast auch andere Fächer: Mathematik oder Biologie. Du brauchst einen guten Abschluss, wenn du später einen gut bezahlten Job haben möchtest.

Dunija Hamede: Ich überlege noch, was ich werden will. Polizistin oder Zahnärztin oder ...

Ulrich Rauner: Sie wollte schon mal Friseurin werden. Meine Frau hat versucht, ihr das auszureden. Da verdient man ja nicht viel - und hier braucht man schon Geld, um beispielsweise eine Wohnung zu mieten.

Zahra Hamede: Sie soll den Beruf machen, den sie will.

Ulrich Rauners Frau wünscht sich, dass Zahra Hamede bald besser deutsch sprechen kann. Damit sie sich mal unter vier Augen mit ihr unterhalten kann. Ulrich Rauner sagt: "So von Frau zu Frau".

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