Flüchtlinge:Neue Strategien der Seenot-Rettung gefragt

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Die italienische Regierung droht, keine Schiffe mehr anlegen zu lassen: Die Zukunft der Mission "Sophia" im Mittelmeer ist ungewiss.

Von Andrea Bachstein, München

Unter dem Druck der italienischen Regierung steht die Zukunft der europäischen Mittelmeermission Sophia infrage. Fünf Wochen geben sich die EU-Staaten Zeit, um gemeinsam mit den Italienern eine neue Strategie für die Operation zu finden, die eine entscheidende Rolle für die Seenotrettung von Flüchtlingen vor der Küste Libyens spielt. Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi hatte Mitte vergangener Woche Brüssel gedroht, auch Schiffe der internationalen Marinemission dürften künftig mit von ihnen geborgenen Flüchtlingen nicht mehr Häfen seines Landes anlaufen.

Diese harte Linie hat die populistische Regierung in Rom, angeführt vom rechtsnationalistischen Innenminister Matteo Salvini, in den vergangenen Wochen bereits durchexerziert. Zunächst mit privaten Seenot-Rettungsorganisationen, aber auch Schiffen der EU-Grenzagtentur Frontex. Selbst Schiffen der italienischen Küstenwache mit Geretteten wurde zeitweise untersagt, diese in Häfen in Italien zu bringen. Italien will unter allen Umständen erreichen, dass auch andere Länder aus dem Mittelmeer geborgene Flüchtlinge aufnehmen. Sie müssten sonst gemäß der Dublin-Regeln auch in Italien ihre Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Nach der Drohung aus Rom, auch Sophia-Schiffe mit Flüchtlingen nicht anlegen zu lassen, beorderte der Befehlshaber der Mission, der italienische Admiral Enrico Credendino, am Donnerstag alle Sophia-Schiffe bis zu diesem Montag in die Häfen zurück. In der Such- und Rettungszone (Sar) vor Libyen sind derzeit weder internationale Marineschiffe im Einsatz noch private Retter. Das heißt, dass für organisierte Seenotrettung derzeit vor allem Libyens Küstenwache da ist, an deren Praktiken große Zweifel herrschen. Italiens Küstenwache muss momentan offenbar ebenfalls die Sar-Zone meiden. Am Wochenende retteten libysche und maltesische Küstenwachen mehr als 150 Flüchtlinge.

Die EU-Botschafter für Sicherheitsfragen waren am Freitagabend zu einer Dringlichkeitssitzung in Brüssel zusammenkommen, wegen Italiens Ankündigung, dass nicht mehr wie 2015 vereinbart, automatisch alle im Rahmen von Sophia geretteten Flüchtlinge nach Italien gebracht werden. Aus Kreisen der Diplomaten war zu hören, dass Sophia fortgesetzt werden könne; alle Mitgliedstaaten hätten bekräftigt, dass der Operationsplan bis zum Abschluss der strategischen Überprüfung Bestand habe. Auch Italiens Außenministerium hatte versichert, dass Land werde vorläufig seine Aufgaben innerhalb von Sophia erfüllen.

Mehrere Politiker kritisierten am Wochenende die unnachgiebige Politik der Koalition der Populisten von den Cinque Stelle und der Lega in Italien harsch. So sagte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen Bild am Sonntag: "Unsere Humanität droht im Mittelmeer zu ertrinken." Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sprach vom "Tiefpunkt der Menschlichkeit". Offensichtlich zähle für die italienische Regierung "nur noch der Beifall beim heimischen Publikum, nicht mehr Recht und Menschlichkeit", so Brok zur Funke-Mediengruppe. Papst Franziskus rief am Sonntag dazu auf, das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer zu beenden. Die Länder müssten "entschlossen und schnell" handeln, um "Tragödien" wie die der vergangenen Wochen zu verhindern, sagte er vor Tausenden Menschen auf dem Petersplatz.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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