Flüchtlinge:"Kann ich meinen syrischen Freund mitbringen?" - "Klar, solange er ohne Rucksack kommt"

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Am Dienstag versammelten sich Flüchtlinge, um ihre Solidarität mit der Bevölkerung zu bekunden. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach fürchten viele Flüchtlinge, dass sich die Stimmung gegen sie wendet. Dabei sind sie doch selbst vor dem Terror geflohen.

Von Yahya Alaous

Wenn Terroristen niesen, bekommen Flüchtlinge einen Schnupfen. Seit den schmerzhaften terroristischen Attacken von Paris und den Ereignissen, die Deutschland in der vorvergangenen Woche erschütterten, durchleben Flüchtlinge noch schwerere Zeiten. Nicht nur, weil sie befürchten, dass sie für die Gewalt verantwortlich gemacht werden. Auch weil nun die Angst, selbst Opfer eines Anschlages zu werden, wieder in ihnen wächst.

Flüchtlinge sind sehr sensibel gegenüber Terrorismus. Sie wissen genau, was Autobomben und Sprengstoffgürtel bedeuten. Sie sind dem Tod entkommen und wurden in diesem sicheren Land aufgenommen. Sie wollen nichts weiter, als in Frieden leben. Genau wie alle anderen hassen sie es, Blut auf den Straßen zu sehen. Sie wollen weder in einem Zug noch in einem Einkaufszentrum sterben. Sie wollen auch keine Familienmitglieder so verlieren - jetzt, nachdem sie sich hier endlich sicher fühlen durften.

Flüchtlinge reagieren sensibel auf Anschläge - immerhin sind viele deswegen geflohen

Bei jedem neuen Anschlag, so denke ich, verlieren wir Geflüchteten ein wenig der Unterstützung, die uns viele Deutsche haben zukommen lassen. Abgesehen davon, dass wir keine neuen Unterstützer dazugewinnen und die Stimmen gegen uns lauter werden. Gleichzeitig wachsen meine Befürchtungen: Meine Nachbarn, meine neuen Bekannten - werden sie mich am Morgen danach weiterhin so freundlich grüßen? Werden die Anschläge sie an meine Herkunft erinnern, meine Sprache, meine Religion - und werden sie mir dann sagen, dass es sicherer war, bevor ich hierherkam?

Ich habe Glück, dass mein Aussehen meine Herkunft nicht direkt verrät. Viele Menschen glauben, dass ich aus Italien, Spanien oder Griechenland komme. Das ist gut für mich, denn so ist es mir nicht unangenehm, hinauszugehen und mein Leben normal weiterzuführen. Aber ich vermeide es beispielsweise, im Bus Telefonanrufe arabischsprechender Freunde zu beantworten.

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Die Angst, wegen ihres Aussehens als Terroristen diffamiert zu werden

Doch was ist mit den Tausenden jungen Menschen mit dunklerer Haut oder mit "orientalischen" Merkmalen? Was ist mit den Frauen, die Kopftuch tragen? Viele bevorzugen es, trotz des wunderbaren Wetters, einfach zu Hause zu bleiben. So wollen sie vermeiden, auf der Straße angepöbelt zu werden. Sie befürchten, dass Menschen auffällt, dass sie die gleiche Herkunft haben wie die Terroristen.

Wenn ich von einem Anschlag höre, denke ich zuerst: Wie viele Opfer? Wie viele Kinder? Hoffentlich keine ... Dann frage ich mich nach der Nationalität des Attentäters: Im ersten Moment hoffe ich immer, dass es ein Rechtsextremist oder einfach ein Idiot oder ein Drogendealer war, der in Streitigkeiten mit seiner Gang geraten ist. Wenn die Identität enthüllt wird, hoffe ich immer, dass es kein Flüchtling war. Wenn es ein Flüchtling war, dann hoffe ich, dass es kein Araber war, und wenn es ein Araber war, dann hoffe ich inständig, es möge kein Syrer gewesen sein.

Nach Anschlägen verurteilen Politiker, Herr Hollande und Herr Obama, aber auch viele Führer der arabischen Welt, das Verbrechen. Sie sagen wieder und wieder, dass die Terroristen den Islam nicht repräsentieren, dass die Religion nichts mit den Taten zu tun habe, die angeblich "im Namen des Islam" verübt werden. Irgendwann, befürchte ich, haben sich diese Sätze abgenutzt. Irgendwann werden die Menschen den Politikern diese Sätze nicht mehr glauben. Vielleicht ist es längst so weit.

Im November, kurz nach den Anschlägen in Paris, stellte sich ein Mann mit verbundenen Augen und zwei Schildern auf die Place de la République. "Ich bin Muslim. Die Leute halten mich für einen Terroristen", stand auf dem einen. "Ich vertraue dir. Vertraust du mir? Wenn ja, umarme mich," auf dem anderen. Viele Pariser umarmten ihn. Könnte man sich dieselbe Szene heute auf einem Platz in Berlin vorstellen? Ich glaube, niemand würde sich dem Mann nähern wollen.

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Den Opfern der Anschläge gilt mein Mitgefühl, genauso wie den Opfern des Terrors in meinem Heimatland Syrien. Ich hoffe sehr, dass ich die angemessenen Worte finde, um ihren Angehörigen zu kondolieren und ihnen ein wenig beizustehen. Sei es, dass ich gemeinsam mit ihnen weine, sei es dadurch, dass ich Kerzen an den Orten der Trauer entzünde. Doch schuldig fühle ich mich nicht - nur weil der Terrorist und ich Religion und sogar Nationalität teilen und die gleiche Sprache sprechen.

Der Terrorismus ist ein sehr großes Problem für uns. Er zerstört das Leben in meinem Land, er ermordete in meinem Land mehr Menschen als irgendwo anders - und er will dasselbe hier versuchen. Die Menschen, die ihn ausführen, sehen aus wie wir, sprechen unsere Sprache, haben unsere Hautfarbe. Aber sie sind nicht wir, sie gehören nicht zu uns, sie lesen den Koran nicht in der Weise, in der wir ihn lesen. Sie verstehen den Islam nicht so, wie wir ihn verstehen.

Am Ende der blutigen Woche in Deutschland traf ich mich mit einer deutschen Freundin, die eine andere deutsche Freundin besuchen und mich mitnehmen und vorstellen wollte. Auf die Frage: "Kann ich meinen syrischen Freund mitbringen?" antwortete die andere, in Anspielung auf Ansbach: "Klar, solange er ohne Rucksack kommt." Dieser Scherz hat mich nicht verstört, aber mir klargemacht, dass ich für viele noch ziemlich lange ein Fremder sein werde.

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