Flüchtlinge:Ein Hoch auf Demokratie und Frauenrechte

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Nach Deutschland gekommene Flüchtlinge teilen im Großen und Ganzen die Wertvorstellungen der Deutschen, zeigt eine groß angelegte Umfrage. Doch bei dieser blieb auch eine wichtige Frage offen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Sie halten von der Gleichberechtigung der Frau wenig, stellen ihre Religion über das Staatssystem und wollen vom deutschen Sozialstaat profitieren. So denken nicht wenige Deutsche über Flüchtlinge. Eine neue Studie widerlegt nun diese Vorurteile. Danach will die große Mehrheit der Geflüchteten unbedingt arbeiten. Sie unterstützen das demokratische System - und sind sogar besser ausgebildet, als Fachleute bislang dachten. Für die Untersuchung des Bundesamtes für Migration, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wurden gut 2300 Flüchtlinge über 18 Jahren befragt, die zwischen 1. Januar 2013 und Ende Januar 2016 nach Deutschland gekommen sind. Hier die wichtigsten Ergebnisse:

Flucht: Sie kostete im Durchschnitt 7100 Euro. Davon erhielten Fluchthelfer gut 3000 Euro. Ein Viertel der Flüchtlinge überlebte einen Schiffbruch. Zwei von fünf erlebten bei der Flucht körperliche Gewalt. Etwa 40 Tage brauchten sie im Schnitt, um nach Deutschland zu kommen.

Fluchtgründe: 70 Prozent der Befragten nannten als Fluchtmotiv gewaltsame Konflikte. 73 Prozent gaben an, die Bundesrepublik als Zielland bevorzugt zu haben, weil hier die Menschenrechte geachtet werden. Für fast ein Viertel war die wirtschaftliche Lage oder das staatliche Wohlfahrtssystem ein Motiv, hierher zu kommen.

Bildung: Das Niveau der Schulbildung ist laut der Studie "stark polarisiert". Einerseits haben 32 Prozent einen weiterführenden Schulabschluss erworben. Andererseits hat fast jeder Fünfte der Geflüchteten nur eine Grundschule oder gar keine Schule besucht, auch wegen der Kriegswirren in der Heimat. Es gebe hier "eine sehr schwach ausgeprägte Mitte", sagte der IAB-Forschungsleiter Herbert Brücker. 58 Prozent der Flüchtlinge waren zehn Jahre oder mehr in Schulen oder Hochschulen oder haben sich beruflich gebildet. In der Bevölkerung Deutschlands liegt dieser Wert bei 88 Prozent. Brücker sprach von einem "Bildungsgefälle", das aber nicht ganz so groß wie bislang angenommen sei.

Bildungsabschlüsse und Arbeit: Jeder Achte ist Akademiker, aber 37 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer haben keinen Schulabschluss. Damit wollen sich viele Flüchtlinge aber nicht zufriedengeben: Arbeiten wollen "sicher" oder "wahrscheinlich" fast alle, auch unter den Frauen. Die Mehrheit strebt darüber hinaus einen Schul- oder beruflichen Abschluss an. In der Studie wird allerdings angemerkt: "Viele Geflüchtete wollen zunächst arbeiten und erst später in Bildung und Ausbildung investieren." So hat es bereits etwa jeder siebte Flüchtling geschafft, in der kurzen Zeit seit der Einreise nach Deutschland in irgendeiner Form erwerbstätig zu sein.

Demokratie: 96 Prozent befürworten, dass "man ein demokratisches System haben sollte". Zugleich unterstützt allerdings etwa ein Fünftel die Idee eines "starken Führers, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss." Zum Vergleich: Das Führerprinzip wird ebenfalls von 22 Prozent der deutschen Bevölkerung bejaht.

Gleichstellung der Frau: 92 Prozent stimmen der Aussage zu, dass "gleiche Rechte von Männern und Frauen" ein Bestandteil der Demokratie sind. Bei den Deutschen ist dieser Wert genauso hoch.

Religion: Soll ein "Religionsführer die Auslegung der Gesetze bestimmen"? Fast jeder Deutsche sagt dazu Nein. Bei den Geflüchteten stimmen 13 Prozent dieser Aussage zu. In ihrer Heimat sind die Zustimmungswerte jedoch oft drei- oder viermal so hoch. In der Untersuchung heißt es dazu: Hier liege "eine starke Selektion der Geflüchteten im Vergleich zu den Bevölkerungen der Herkunftsländer vor".

Offen blieb bei der Vorstellung der Studie, inwieweit Befragte verschwiegen, was sie wirklich denken, und stattdessen Antworten gaben, von denen sie glaubten, dass sie hierzulande sozial erwünscht sind. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hofft trotzdem, dass die neuen Erkenntnisse der Untersuchung zu einer "Versachlichung der Debatte in Deutschland beitragen werden".

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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