Fluchthilfe:"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit einem Auto Politik mache"

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Flüchtlinge auf dem Weg von Ungarn nach Österreich Anfang September. Aktivisten nahmen einige hundert mit Privatautos mit (Foto: dpa)

"Schienenersatzverkehr": Unter diesem Titel holen Österreicher Flüchtlinge mit Privatautos aus Ungarn. Der Autor Kurto Wendt ist einer von ihnen. Für die nächste Aktion sucht er nun ein Schiff.

Interview von Ruth Eisenreich

Und wieder Bilder von Hunderten, Tausenden Flüchtlingen, zu Fuß unterwegs quer durch Europa. In Serbien, in Kroatien, in Slowenien. Als Anfang September ähnliche Bilder aus Ungarn um die Welt gingen, da begann eine Gruppe Österreicher unter dem Motto "Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge", Menschen mit Privatautos von Ungarn nach Wien zu bringen. Österreich und Deutschland hatten sich da gerade bereiterklärt, Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, doch der Zugverkehr über die Grenze war eingestellt, die Lage völlig unübersichtlich. Als Organisatorin des "Refugee Convoy" trat die in Wien lebende Ungarin Erzsébet Szabó auf, sie wurde im Spiegel zitiert, im britischen Independent, bei Al Jazeera, bei CNN und bei der Deutschen Welle. Aber Erzsébet Szabó existiert gar nicht - hinter dem Namen steckt ein Kollektiv von Aktivisten. Der Wiener Autor Kurto Wendt ist einer von ihnen. Für die nächste Erzsébet-Szabó-Aktion sucht er gerade nach einem Schiff.

SZ: Herr Wendt, wieso haben Sie als Gruppe sich den Frauennamen "Erzsébet Szabó" gegeben?

Kurto Wendt: Erzsébet Szabó ist eine weithin unbekannte ungarische Antifaschistin, sie wird auch in Yad Vashem geehrt als Gerechte unter den Völkern. Das war eine schnelle Entscheidung, kein großes, durchdachtes Ding, aber wir wollten ein smartes kleines politisches Zeichen setzen.

Und warum der Begriff "Schienenersatzverkehr"?

Schienenersatzverkehr kennt jeder. Man weiß, wenn die Züge nicht fahren, dann organisiert jemand Busse. Diese Normalität wollten wir signalisieren, uns war nicht die Geste der Rebellion wichtig. Es war natürlich eine Brüskierung der Politik, das war auch für die Medien so interessant: Dass Merkel und der österreichische Bundeskanzler Faymann sagen, die Grenzen auf, aber die Züge fahren nicht, und dann nehmen die Bürger und Bürgerinnen das in die eigene Hand.

Wie viele Konvois gab es inzwischen?

Vier. Der erste hatte fast 200 Autos, einer hatte 40, einer 50, der letzte nur vier Autos. Es gab aber auch einen Konvoi aus Amsterdam, einen aus Leipzig, aus Berlin, aus Graz. Das ist keine Trademark von uns. Wir haben halt zu einem konkreten historischen Zeitpunkt etwas gemacht, was sich viele Leute gewünscht haben. Wir haben ein Möglichkeitsfenster aufgezeigt.

Was für Menschen machen da mit?

Da waren auch Leute dabei, denen ich sonst sicher nie begegnen würde. Leute, die wesentlich wohlhabender sind als ich, oder etwas biedere Pensionisten. Es war ein Querschnitt durch die Bevölkerung - durch die antirassistische Bevölkerung, es gibt natürlich auch Gegner und Gegnerinnen. Aber es war keinesfalls als linksradikale Aktion wahrzunehmen.

Der Autor Kurto Wendt, hier auf der Buchmesse in Leipzig, hat gemeinsam mit anderen Flüchtlinge von Ungarn nach Österreich gebracht. (Foto: Verlag Zaglossus)

Wie ist die Polizei mit Ihnen umgegangen?

Wir haben das Treffen am Parkplatz zu Beginn als Kundgebung angemeldet, weil wir nicht irgendwo 200 Autos parken und damit riskieren wollten, dass wir aus Gründen der Straßenverkehrsordnung nicht zum Start kommen. Die Polizei dort war freundlich. Mit der ungarischen Polizei hatten wir keinen Kontakt, die war unsichtbar. Man muss sich vorstellen: Wir kommen mit 170 Autos in der Kleinstadt Győr an, ortsunkundig, und stehen am Busbahnhof im Halteverbot. Wenn man das in München machen würde ... Ich kann's mir nicht anders erklären, als dass die die Anweisung hatten, dieses Gewitter vorbeiziehen zu lassen.

Und die Justiz?

Es gibt nach wie vor Ermittlungen gegen Schlepper und Schleuser. In der Zusammenschau ergeben sie ein rassistisches Bild: Vor Gericht gestellt werden vor allem Ungarn, Rumänen und ehemalig selbst Geflüchtete, die im Freundeskreis helfen. Gegen uns konkret gibt es keine Androhung von Verhandlungen. Wir machen ja auch nichts, was nicht auch die Bahn macht. Man kann nicht abschätzen, ob da noch was kommt, aber wir glauben es nicht. Wir sehen nicht nur die Gerechtigkeit auf unserer Seite, sondern auch die Mehrheit der öffentlichen Meinung.

Wurden Sie für Ihre Aktion angefeindet?

Wir hatten auf Facebook arge Meldungen, rechtsextreme Anfeindungen, die ich gar nicht wiederholen mag. Aber ich kann das nicht ernst nehmen. Im real life haben wir keine bedrohlichen Situationen erlebt.

Sie und ein Teil Ihrer Mitstreiter sind auch Künstler. Ist der Schienenersatzverkehr Kunst?

Nein, das ist nicht die Intention. Für mich ist gerade in so bewegten Zeiten Kunst beinahe etwas Peinliches. Jetzt eine Performance zu machen, bei der man einen inszenierten Stacheldraht umwirft und dazu ein Getöse macht und "Open Borders" schreit: Das wäre nicht nur schlechte Kunst, es wäre mir auch wahnsinnig peinlich. Ein Konvoi, bei dem nicht die Hilfe für Flüchtlinge im Mittelpunkt steht, wäre sowohl als politisches als auch als Kunstprojekt gescheitert.

Ihr nächstes Projekt ist eine Art Schienenersatzverkehr mit einem Schiff.

Der Ausgangspunkt ist die Idee von sicheren Fluchtwegen. Am besten wäre natürlich, die deutsche Regierung schickt hundert Lufthansa-Maschinen nach Ankara - dann könnten sie die Flüchtlinge auch gleich auf alle Flughäfen im deutschsprachigen Raum verteilen. Oder: Eine Fähre von Tunis nach Catania gibt es, die könnte man öffnen für Flüchtlinge. Das sind derzeit Träume, aber es sind die politischen Ziele. Wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten haben überlegt, ein Schiff von Belgrad nach Passau fahren zu lassen, das vor allem die Leute mitnimmt, die diese anstrengende Reise zu Fuß nicht schaffen. Kranke, Verletzte, ältere Leute.

Ist das für Privatpersonen machbar?

Logistisch ist es ein Aufwand. Wir sind gerade auf der Suche nach einem geeigneten Schiff, einem Kabinenschiff für zweihundert Leute. Dafür brauchen wir Fundraising und eine Zusicherung der Behörden in Serbien, Ungarn, der Slowakei, Österreich und Deutschland, das Schiff nicht irgendwo zu stoppen. Wir gehen aber davon aus, dass es im März starten wird.

Warum gerade ein Schiff?

Es geht wie beim Schienenersatzverkehr darum, ein politisches Statement gegen Dublin III und die Abschaffung von Schengen abzusetzen und gleichzeitig Leuten konkret zu helfen. Gerade der Schiffsverkehr, die Donau als neutrale Verbindung, kann das gut ausdrücken.

Wie lange wird der Schienenersatzverkehr noch weitergehen?

Man hört nie auf, politisch zu agieren. Wir beobachten die Lage sehr wachsam und handeln situationsangemessen. Ich bin Radfahrer und habe in Autos bisher wenig Sinn gesehen, ich hätte mir also vor zwei Monaten nicht gedacht, dass ich jemals mit einem Auto Politik mache. Jetzt gibt es ja die Idee, irgendwo Transitzentren aufzubauen, das klingt nach Lagern und schlechter Behandlung. Vielleicht ist in einem halben Jahr unsere Aufgabe, die Tore dieser Transitzentren zu öffnen.

Das wäre wahrscheinlich eine Straftat.

Das Öffnen der Tore ist ernst, aber auch literarisch zu denken. Es bedeutet nicht unbedingt das Aufbrechen von Türen, sondern das Aufbrechen einer gesellschaftlichen Struktur.

Planen Sie Konvois nach Deutschland?

Für den österreichischen Nationalfeiertag am 26. Oktober planen wir einen Refugee Convoy Spielfeld-Wien. Gemeinsam mit Flüchtlingen über die österreichisch-deutsche Grenze zu fahren, würde ich derzeit niemandem empfehlen, weil das einfach gefährlich ist. Es gab Leute, die zu Fuß mit Flüchtlingen über die Grenze gegangen sind, um zu übersetzen, und die dann als Schleuser inhaftiert wurden. Die beste Hilfe für Flüchtende ist nicht, dass man sich selbst am meisten in Gefahr bringt, sondern dass man möglichst vielen auch morgen und übermorgen noch helfen kann.

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